Sehr lange sind die Vertreibungen der Deutschen nicht thematisiert oder erforscht worden, weil „das Leid der Opfer und ihrer Nachkommen Jahrzehnte lang unter der zentnerschweren Platte historischer Schuld Deutschlands begraben lag.“
Im Interesse der Opfer und ihrer Familien, im Interesse der Wahrhaftigkeit und vor allem im Interesse einer unbelasteten und friedlichen Zukunft Europas müssen wir diese Platte beiseite räumen.
„Eines der scheußlichsten Verbrechen, die damals a n Deutschen begangen wurden, verübten Soldaten der tschechoslowakischen Armee in der Nacht vom 18. auf den 19. Juni 1945 an Heimkehrern aus Nordböhmen, deren Zug auf dem Verschiebegelände des mährischen Bahnknotenpunkts Prerau angehalten hatte. In dem Zug befanden sich fast ausschließlich Frauen, Kinder und alte Männer. Insgesamt 265 Karpatendeutsche (120 Frauen, 74 Kinder und 71 Männer – das jüngte Opfer war acht Monate alt – das älteste 80 Jahre) wurden durch Genickschuss getötet und in einem Massengrab verscharrt. Ähnliche Massaker wie in Prerau, mit manchmal mehr Toten, ereigneten sich in Aussig, beim Brünner Todesmarsch, in Postelberg und in mehreren anderen Orten Böhmens und Mährens. Das Massaker von Prerau war das einzige Vertreibungsverbrechen, das von einem tschechoslowakischen Gericht mit einem definitiven Schuldspruch geahndet wurde. Die meisten Täter wurden auf der Grundlage des Gesetzes „Über die Rechtmäßigkeit von Handlungen, die mit dem Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zusammenhängen“ freigesprochen. Dieses Gesetz ist noch immer Teil der tschechischen Rechtsordnung.“ („Das Massaker von Prerau“ von Karl-Peter Schwarz in der FAZ)
Kein Deutscher, ein Ire ist der Autor der ersten Gesamtdarstellung der Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg: Ray M. Douglas, Professor für Geschichte an einer Uni in New York. Der Buchtitel „Ordnungsgemäße Überführung. Die Vertreibung der Deutschen nach dem 2. Weltkrieg.“ erschien beim Verlag C.H.Beck. Douglas beschreibt die systematische Gewalt gegen deutsche Internierte, auch gegen Kinder, die Vergewaltigungen und Folterungen, die Zwangsarbeit und den allgegenwärtigen Hunger. So schonungslos und umfassend wurden diese Staatsverbrechen noch von keinem Historiker dargestellt.
Die folgenden Zitate und Stichworte sollen die Bandbreite des Themas „Vertreibung“ darlegen:
- „Selbst der bayerische Ministerpräsident kapitulierte vierzehn Jahre nach Unterzeichnung der deutsch-tschechischen Erklärung vor der Hartnäckigkeit, mit der die Tschechen an ihren Geschichtsmythen und deren Symbolen festhalten. Mit „Vereinen“ von ehemaligen tschechoslowakischen Staatsangehörigen (gemeint sind Vertriebene) spricht die Prager Regierung nach wie vor nicht, obwohl sich vor allem junge Tschechen mit den Massenmorden an Deutschböhmen nach dem Krieg auseinandersetzen.“ (B.Kohler)
- „Geboren wurde Hans-Jürgen Syberberg im vorpommerschen Nossendorf. Neun Kilometer entfernt liegt Demmin: Dort kam es 1945 nach dem Einmarsch der Roten Armee zu Massenvergewaltigungen und zum Abbrennen von Häusern. In der Folge brachten sich etwa 1000 Menschen um.“ (Fundstück)
- „Am Beispiel der imaginären Geschwister, deren Platz wir eingenommen haben, sei erinnert an: die tausend in einer Nacht verbrannten Kinder in Heilbronn, die viertausend in der Ostsee versunkenenKinder und Jugendlichen der „Wilhelm Gustloff“, die Unzahl der in den Armen ihrer verrückt gewordenen Mütter erstarrten Säuglinge, deren kleine Körper die vereisten Fluchtwege säumten, die namenlose Legion der sich unter Kolbenstößen der Soldateska windenden halbwüchsigen Nachrichtenhelferinnen in Ostpreußen und anderswo.“ (Fundstück)
- Rüdiger Safranski auf die Aussage: „Die Gegner sagen, Deutsche würden sich einen Opferstatus anmaßen, der ihnen nicht zusteht“: „Unsinn! Die Kinder und Frauen, fast 90 Prozent der Vertriebenen, konnten keine Täter sein.“
- „Koffer, Mullbinden, Ausweisungsbescheide. Die Bonner Ausstellung „Flucht und Vertreibung und Integration“ beweist Taktgefühl mit einem sehr schwierigen Kpitel deutscher Geschichte.“ (FAZ)
- „Hans Magnus Enzensberger, der in Prag mit Charme und Ironie das einstige Feindesland vertrat, hält die Aufarbeitung der Vertreibung für „förderlich für die Gesundheit dieser Gesellschaft.“ (Fundstück)
Fortsetzung folgt.