Mascha Kaleko – Temporäres Testament
Nach meinem Tode (Trauer streng verbeten) verlaß ich diesen elenden Planeten. Wenn Plato recht hat – Plato ist mein Mann – : Erst wenn man tot ist, fängt das Leben an.
Kapitel Eins beginnt mit dem Begräbnis, der Seele letztes irdisches Erlebnis. Auf meines freue ich mich heute schon! Da gibt es keine Trauerprozession.
Kein Lorbeerkranz vom Bund der Belletristen. Kein Kunstvaein hat mich auf seinen Listen, kein Dichtazirkel…… Sagen wir es schlicht: Gesellig war die sanft Entschlafne nicht.
Der Redakteur, den sie einst tödlich kränkte, als er sein Mäntlein nach dem Winde hängte, hat ihren Nachruf lange schon gesetzt. Der schließt: „M.K. war reichlich überschätzt.“
Diverse Damen, deren Herren Gatten zuzeiten eine Schwäche für mich hatten, die werden selbst im Regen Schlange stehen, um mich auch wirklich mausetot zu sehen.
Mascha Kaleko – Was die Rose im Winter tut
Was tut wohl die Rose zur Winterzeit? Sie träumt einen hellroten Traum. Wenn der Schnee sie deckt um die Adventszeit, träumt sie vom Holunderbaum. Wenn Silberfrost in den Zweigen klirrt, träumt sie vom Bienengesumm, vom blauen Falter, und wie er flirrt…. Ein Traum und der Winter ist um.
Und was tut die Rose zur Osterzeit? Sie räkelt sich, bis zum April. Am Morgen, da weckt sie die Sonne im Blau, und am Abend besucht sie der Frühlingstau, und ein Engel behütet sie still. – Der weiß ganz genau, was Gott will! Und dann über Nacht, wie ein Wölkchen, ein Hauch, erblüht sie zu Pfingsten am Rosenstrauch.
Marina Zwetajewa (3. Oktober 1915)
ICH WEISS EINE WAHRHEIT! Alle anderen Wahrheiten – fort! Der Mensch soll auf Erden nicht mit dem Menschen sich schlagen! Schaut: der Abend, schaut: die Nacht kommt von dort. Wo denkt ihr hin – ihr Heerführer, Dichter, Liebhaber?
Schon legt sich der Wind, die Erde liegt schon betaut, am Himmel erstarren wird der Schneesturm der Sterne, und wir? haben auf der Erde einander den Schlaf geraubt und werden bald alle schon schlafen unter der Erde.