Turbo-Kapitalimus oder Soziale Marktwirtschaft oder Sozialismus ?

In der Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“ wird Lech Walesa zitiert: „Welches Wirtschaftssystem wollen wir? Sicher nicht den Kommunismus, denn der ist vor aller Augen gescheitert. Aber der Kapitalismus ist auch keine Lösung. Das ist ein Rattenrennen.“

Welches Wirtschaftssystem würde Lech Walesa vorschlagen ? Was wollen die zahlreichen Priester und Bischöfe beider Kirchen, die unsere Soziale Marktwirtschaft zunehmend kritisieren?

Martin Rhonheimer ist Professor für Ethik und politische Philosophie an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom; er äußert sich zur „Wirtschaftsferne der katholischen Soziallehre“ wie folgt:

„Für allgemein steigende Löhne und die Besserstellung aller – das Gemeinwohl – braucht es Innovation und Produktivitätswachstum und dafür wiederum Akkumulation von Kapital. Die Folge ist zunächst einmal wachsende Ungleichheit bei gleichzeitiger Erhöhung des allgemeinen Lebensstandards. So ist es derzeit auch in Schwellenländern wieChina zu beobachten, wo ein Teil der Bevölkerung zu Reichtum kommt, eine Mittelschicht mit hunderten Millionen Menschen heranwächst und nur noch eine Minderheit in Armut lebt. Ökonomisch aufgeklärter Optimismus ist der vom Marxismus beeinflussten katholischen Soziallehre fremd geblieben; die wertschöpfende Funktion des Unternehmers wurde nicht verstanden; man will noch mehr vom Sozialstaat organisierte „soziale Gerechtigkeit“. Die katholische Soziallehre würde gut daran tun, dem von Papst Franziskus hochgehaltenen Motto „Sehen – urteilen – handeln“ folgend vom hohen moralischen Ross herunterzusteigen und sich den tatsächlichen ökonomischen Zusammenhängen zu stellen. Dann könnte sie dem Zeitgeist einen echten Gegenentwurf bieten, statt ihm hinterherzulaufen.“

Die in Deutschland praktizierte Soziale Marktwirtschaft ist das beste System, das wir bisher geschaffen haben und wirft dennoch eine Menge Fragen auf – vor allem: W a s i s t g e r e c h t ? Ist die finanzielle Grundversorgung für Menschen, die nicht arbeiten können oder wollen, gerecht ? Wie sollen höhere Grundversorgung, höhere Mindestrenten, mehr Kindergeld usw. finanziert werden? „Durch Erhöhung der Steuern für die Reichen“ werden viele sagen. Wenn die Steuern noch höher steigen, werden viele Reiche in die Schweiz oder nach Florida ziehen, weil dort nur halb so viel Steuern gefordert werden. Dann sinken die Einahmen des Staates und die Grundversorgung muss gekürzt werden. Ähnlich ist es mit den Unternehmenssteuern, die in Deutschland vergleichsweise hoch sind: In Zeiten von Automatisierung und Digitalisierung ist es für manche Unternehmer kein Problem mehr, ihre Fabrik von Deutschland nach Rumänien zu verlagern, wo Löhne und Steuern sechzig Prozent niedriger sind als hier. Oder er verkauft seine Firma an die Chinesen und die transferieren 80 Prozent der Produktion nach China. Auch der Erbschaftssteuer entfliehen viele durch Umzug ins Ausland.

Die Empörung über den Raubtierkapitalismus gipfelt in den alten populistischen und sozialistischen Formeln als Allheilmittel gegen ausbeuterischen Kapitalismus: Nationalisierung, Planwirtschaft, Ausbau des öffentlichen Sektors und Beschränkung des privaten Sektors.

In unserer Sozialen Marktwirtschaft sind wir mit der Versöhnung von unternehmerischer Freiheit und Gerechtigkeit weit gekommen. Es ist eine Daueraufgabe für unsere Politiker, beide Werte zu pflegen und auszubauen – ganz nach dem Motto: Soviel Gerechtigkeit wie möglich und soviel Freiheit wie nötig.