Schriftsteller der Superlative: Leo Tolstoi

Der deutsche Schriftsteller Daniel Kehlmann äußerte sich in einem Focus-Interview über seinen „Kollegen“:

  • Nachdem man „Krieg und Frieden“ gelesen hat, ist einem, als hätte man zehn Jahre an Lebenserfahrung und Menschenkenntnis hinzugewonnen.
  • Ich würde mir nicht anmaßen zu behaupten, ich hätte jemals etwas geschrieben, das Tolstois Vorbild gerecht wird. Aber man kann als Schriftsteller ungeheuer viel von ihm lernen, vor allem Handwerkliches: Wie man möglichst knapp erzählt und Unwesentliches fortlässt. Wie man Metaphern einsetzt, ohne dass sie für den Leser aufdringlich werden. Viel wichtiger aber: Tolstoi erinnert einen daran, wie existenziell Literatur sein kann. Man bekommt noch in der kleinsten Erzählung Tolstois ein Gefühl für die Weite der Welt und den Reichtum der menschlichen Psyche. Man wird so unmittelbar in Berührung gesetzt mit existenziellen Grundtatsachen, mit dem Tod, mit der Unbeherrschbarkeit der Liebe, mit der Frage nach dem richtigen und falschen Leben, dass einem plötzlich der Großteil aller anderen Literatur – inklusive natürlich der eigenen – furchtbar unnotwendig vorkommt.
  • Tolstoi vereinigte Eigenschaften, die sonst ganz unvereinbar sind. Er war ein Rationalist und ein religiöser Fanatiker. Er war ein großer Literat, der später die Literatur ablehnte. Er war ein Asket und zugleich eine barocke Natur mit ungeheuren Ausbrüchen von Leidenschaft. Er war ein Idealist und ein brutaler Egomane. Canetti schrieb, dass Tolstoi einen regelrecht entzweireißt, weil jeder in ihm Dinge, die man bejaht, mit Dingen, die man radikal ablehnt, vereinigt findet. Die einzige Sache, die man sofort versteht, ist, warum Tolstoi unter diesen Voraussetzungen kein glücklicher Mensch sein konnte.
 
 

G e d i c h t e

= Mascha Kaléko: Das Ende vom Lied

Ich säh dich gern noch einmal wie vor Jahren zum erstenmal. Jetzt kann ich es nicht mehr. Ich säh dich gern noch einmal wie vorher, als wir uns herrlich fremd und sonst nichts waren.

Ich hört dich gern noch einmal wieder fragen, wie jung ich sei, was ich des Abends tu. Und später dann im kaum gebornen Du mir jene tausend Worte Liebe sagen.

Ich würde mich so gerne wieder sehnen, dich lange ansehn stumm und so verliebt. Und wieder weinen, wenn du mich betrübt, die viel zu oft geweinten dummen Tränen.

Das alles ist vorbei. Es ist zum Lachen! Bist du ein andrer, oder liegts an mir? Vielleicht kann keiner von uns zwein dafür. Man glaubt oft nicht, was ein paar Jahre machen.

Ich möchte wieder deine Briefe lesen, die Worte, die man liebend nur versteht. Jedoch mir scheint, heut ist es schon zu spät. Wie unbarmherzig ist das Wort: gewesen!

= Heinrich Heine

Die alte Frau hat mich so lieb, und in den Briefen, die sie schrieb, seh´ ich, wie ihre Hand gezittert, wie tief das Mutterherz erschüttert.

Die Mutter liegt mir stets im Sinn. Zwölf lange Jahre flossen hin, zwölf lange Jahre sind verflossen, seit ich sie nicht ans Herz geschlossen.

Deutschland hat ewigen Bestand, es ist ein kerngesundes Land, mit seinen Eichen, seinen Linden, werd´ ich es immer wiederfinden.

Nach Deutschland lechzt´ ich nicht so sehr, wenn nicht die Mutter dorten wär´; das Vaterland kann nie verderben, jedoch die alte Frau kann sterben.

Seit ich das Land verlassen hab´, so viele sanken dort ins Grab, die ich geliebt – wenn ich sie zähle, so will verbluten meine Seele.

Und zählen muß ich – Mit der Zahl schwillt immer höher meine Qual, mir ist, als wälzten sich die Leichen auf meine Brust – Gottlob! sie weichen!

Gottlob! durch meine Fenster bricht französisch heitres Tageslicht; es kommt mein Weib, schön wie der Morgen, und lächelt fort die deutschen Sorgen.

Heinrich Heine: Du bist wie eine Blume

Du bist wie eine Blume, so hold und schön und rein; ich schau dich an, und Wehmut schleicht mir ins Herz hinein.

Mir ist, als ob ich die Hände, aufs Haupt dir legen sollt, betend, daß Gott dich erhalte so rein und schön und hold.

Heinrich Heine: Ich weiß nicht was soll es bedeuten

Ich weiß nicht was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin; ein Märchen aus uralten Zeiten, das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist kühl und es dunkelt, und ruhig fließt der Rhein; der Gipfel des Berges funkelt im Abendsonnenschein.

Die schönste Jungfrau sitzet dort oben wunderbar; ihr goldnes Geschmeide blitzet, sie kämmt ihr goldnes Haar.

Sie kämmt es mit goldenem Kamme und singt ein Lied dabei; das hat eine wundersame, gewaltige Melodei.

Den Schiffer im kleinen Schiffe ergreift es mit wildem Weh; er schaut nicht die Felsenriffe, er schaut nur hinauf in die Höh.

Ich glaube, die Wellen verschlingen am Ende Schiffer und Kahn; und das hat mit ihrem Singen die Lore-Ley getan.