Herta Müller konnte dem Teufelskreis aus Angst und Unterdrückung in Rumänien entfliehen und nach Deutschland „auswandern“. Sie schrieb Bücher und informierte ihre Leser nicht nur über das totalitäre Ceausescu-Regime sondern über die Grundierung von Überwachungsstaaten; sie wollte den Teufelskreis von Unterdrückung und Angst durchbrechen. Trost erwächst ihr in dieser Verlorenheit aus einem unscheinbaren Taschentuch, wie es die Mutter einst dem Kind jeden Morgen mit auf den Weg gab, gebügeltes und gefaltetes Symbol für eine Geborgenheit, die sich nicht in Worten und Umarmungen auszudrücken vermochte. Als man ihr in der Fabrik, wo sie Übersetzerin ist, den Schreibtisch wegnimmt und sie so dazu zwingt, draußen vor der Tür auf der Treppe zu arbeiten, gibt ihr das weiße Quadrat des Taschentuchs, auf das sie sich setzt, in dieser demütigenden Situation die Würde zurück. Auch Herta Müllers Freund, der Dichter Oskar Pastior, hatte als junger Mann während seiner „Hautundknochenzeit“ in einem sowjetischen Arbeitslager ein Taschentucherlebnis: Eine Russin gab dem Hungernden einen Teller heiße Suppe zu essen und reichte ihm, als seine Nase tropfte, ein Taschentuch. Pastior hob das Stück Stoff „aus Hoffnung und Angst“ ein Leben lang auf.

Im Jahr 2009 erhielt Herta Müller den Literaturnobelpreis. Seit ihrem 2011 erschienenen Offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel setzt sie sich für ein „Museum des Exils“ ein – also eine Dokumentation über Fluchtgeschichten von Deutschen, die vor dem Nazi-Regime fliehen mussten; wie z.B. Konrad Merz, der Autor des Exilromans „Ein Mensch fällt aus Deutschland“, der das Exil in den Niederlanden versteckt in einem Schrank überlebte oder der Heimkehrer Willy Brandt, der von Konrad Adenauer wegen seiner Zeit im norwegischen Exil vorgeführt wurde und der von Franz Josef Strauß gefragt wurde: „Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben.“

Auch an Thomas Mann, Stefan Zweig, Heinrich Mann, Alfred Döblin, Theodor Kramer und vielen anderen, die fliehen mussten, hatte man kein Interesse. Auch Mascha Kaleko war geflohen und wurde 1959 für den Fontane-Preis vorgeschlagen; als sie erfuhr, dass der ehemalige SS-Soldat Hans-Egon-Holthusen der Jury der Berliner Akademie angehörte, lehnte sie ab. Vom Generalsekretär der Akademie wurde sie daraufhin angebellt: „Wenn es den Emigranten nicht gefällt, wie wir die Dinge hier handhaben, dann sollen sie doch fortbleiben.“

Herta Müller: „Nirgends in diesem Land gibt es einen Ort, an dem man den Inhalt des Wortes „Exil“ an einzelnen Schicksalen entlang darstellen kann. Das Risiko der Flucht, das verstörte Leben im Exil, Fremdheit, Armut, Angst und Heimweh. Das alles zu zeigen ist Deutschland seiner Geschichte schuldig geblieben.“