Ameisen und Kapitalismus

Infolge ihrer kollektiven Ganzheitlichkeit können Ameisen, Termiten und Bienen sich ökologischen Strategien hingeben, die für Einzelwesen unmöglich wären. Bienen können den Nektar verblühender Blumen ausfindig machen und sich gegenseitig auf die besten Nahrungsgründe hinweisen; ähnlich gestaltet sich die oft erschreckend wirksame Nahrungssuche der Ameisen, die etwa binnen weniger Minuten wahre Heerscharen zu einem offenen Marmeladenglas dirigieren können. Der Bienenstock gleicht einem Wesen mit vielen Fangarmen, das seine Finger in Blumen stippt, die eine Meile oder mehr entfernt sind. Einige Termiten und Ameisen bauen tumhohe Nester und tiefe, unterirdische Kammern, in denen sie Landwirtschaft betreiben und Pilze auf dem sorgfältig angelegten Kompost zerkauter Blätter züchten. Andere verhalten sich wie moderne Schutzgelderpresser und melken den Honig aus Blattläusen, die im Gegenzug beschützt werden. Noch boshaftere Exemplare plündern die Nester anderer Ameisen und stellen Heere von Arbeitssklaven auf, die überlistet wurden, für einen artfremden Stamm Sorge zu tragen. Einige führen kollektiv Krieg gegen rivalisierende Kolonien. Afrikanische Wanderameisen überziehen das Land mit zwanzig Millionen starken und zwanzig Kilogramm schweren Armeen; wo immer sie auftauchen, verbreiten sie Angst und Schrecken, und jedes Lebewesen, das sich nicht schnell genug retten kann, selbst kleine Säugetiere und Reptilien, wird von ihnen verschlungen. Die Ameise, die Biene und die Termite symbolisieren den Triumph gemeinschaftlichen Unternehmertums.

Beherrschen zu Land Ameisen den tropischen Regenwald, so werden die unterschiedlichen Ökosysteme der Meere von Tieren dominiert, deren Lebensweise weitaus kollektiver ist: den Korallen. In der submarinen Entsprechung des amazonischen Regenwaldes, dem Großen Barrierriff Australiens, repräsentieren Tierkolonnen in diesem Vergleich nicht nur die dominanten Tiere, sondern ebenso auch die Bäume – die grundlegenden Erzeuger. Korallen erbauen das Riff, binden den Kohlenstoff ihrer Verbündeten, den sonnenlichtgetriebenen Algen, und verzehren die Tiere und Pflanzen der Wassersäule, indem ihre stechenden Fühler das Wasser beständig nach Algen und kleinen wirbellosen Tieren durchsieben. Wie Ameisenkolonien sind Korallen Kollektive; der einzige Unterschied besteht darin, daß die einzelnen Tiere, die das Kollektiv ausmachen, wie in einer ständigen Umarmung gebunden sind und nicht als freie Individuen kommen und gehen können. Einzelne Korallen können zwar zugrunde gehen, aber die Kolonie insgesamt ist beinahe unsterblich. So sind einige Korallenriffe bereits seit über 20.000 Jahren am Leben und haben folglich die letzte Eiszeit mitgemacht. (M. Ridley)