Australien – „lucky country“

Ein „lucky country“, ein glückliches Land, sei Australien, heißt es. Gesegnet ist es ganz sicher. Auf dem Fünften Kontinent liegen mehr Kohle, Erz, Gold und Uran, als in den nächsten hundert Jahren verkauft werden können, vor den Küsten gibt es Öl und Gas im Überfluss. Genau dieser Reichtum an Bodenschätzen aber hat das Land verführt, nachlässig gemacht. Es hat die Balance verloren.

Wer Wagemut und das rechte Gespür für Lagerstätten im entlegenen Nordwesten Australiens besaß, konnte es in den vergangenen Jahren zum Milliardär bringen. Handwerker oder Lastwagenfahrer verdienen im Tagebau sechsstellige Gehälter. Deshalb musste derjenige, der während des Rohstoffbooms in Sydney oder Melbourne Klempner oder Elektriker rief, oft wochenlang warten – die Handwerker hatten lukrative Verträge im Bergbau angenommen. Doch gab es auch in diesen Jahren das andere Australien. Lehrer oder Krankenschwestern mit normalen Gehältern. Bauern, die unter Dürre litten. Vom Rohstoffboom spürten sie vor allem die steigenden Preise für Immobilien. Und dann sind da jene, die unter dem überhöhten Außenwert des Dollar litten: die Einzelhändler.

Der „Aussie“ steht weltweit hoch im Kurs. Denn Australien verspricht verunsicherten Anlegern Stabilität, die asiatische Nachfrage nach Erz und Kohle könnte über Jahrzehnte den Aufschwung des Landes sichern. Die Abhängigkeit‘ von China ist auch in jeder australischen Stadt zu sehen, die Einkaufszonen sind von asiatischen Gesichtern geprägt. Für Neubauten in Sydney oder Melbourne stehen Chinesen Schlange. Genauso, wenn Weingüter oder Bauernhöfe in Westaustralien versteigert werden. Japaner und Chinesen waren es auch, die den Tourismus in Zeiten des überteuerten Dollar am Leben hielten.

Für Abbott ist die Ausgangslage nach dem weitgehenden Versagen der Labor-Regierung vor ihm schwierig. Er verweigert Staatshilfen für die leidende Industrie in einem Maße, das ihn eiskalt erscheinen lässt. Die Umweltpolitik der vergangenen Jahre, ein Dom im Auge der Rohstoffindustrie, verkehrt er ins Gegenteil. Die Märkte will er liberalisieren, beißt sich aber schon an den Gewerkschaften die Zähne aus. Einwanderer braucht das Land, doch die Hürden werden immer höher. Zugleich ist der Investitionsbedarf, etwa in die Infrastruktur, riesig.

Australien braucht eine Anstrengung wie während der Reformjahre zwischen 1983 und 2000.

Zinsen locken zusätzlich. Damit kletterte der australische Dollar über die Parität mit dem amerikanischen Dollar – dabei sehen Ökonomen seinen „wahren Wert“ bei 80 Cent. Heute steht auf Sydneys Oxford Street schon jedes dritte Geschäft leer. Dank ihres starken Dollar bestellen die Kunden ihre Waren lieber billig im Internet in Amerika, als in den heimischen Läden zu kaufen.

Der teure Dollar, die hohen Immobilienpreise, die Regulierungsdichte und die starken Gewerkschaften machen zugleich die Fertigung unrentabel. Die drei verbliebenen Automobilhersteller Ford, Toyota und Holden werden ihre Werke schließen. Einschließlich der Zulieferer entfallen damit mehr als 30000 Stellen in Australien. Alcoa fährt seine Aluminiumschmelze in Geelong herunter und kündigt tausend Arbeitern. Am Donnerstag gab die Fluggesellschaft Qantas, eine Iko- ne Australiens, den Abbau von 5000 Arbeitsplätzen bekannt.

Die neue Regierung unter Ministerpräsident Tony Abbott erbt, was Vorgängerregierungen hinterließen. Die zwölftgrößte Volkswirtschaft der Erde hat die Bedeutung der Wertschöpfung außer Acht gelassen. Heute fördern die Rohstoffriesen Erz und Kohle und verschiffen sie nach China. In dessen Hochöfen wird daraus Stahl, in seinen Fabriken werden aus dem Stahl Eisenbahnwaggons. Die kaufen die Australier dann, um damit ihr Erz zum Hafen zu transportieren.

Wirklich schwierig wird es für die liberal-konservative Regierung, wenn China seine Wachstumsziele nicht erreicht. Dann schmelzen Rohstoffnachfrage und Preise. Schon haben die Bergwerkskonzerne ihre Investitionspläne dramatisch zusammengestrchen. Das führt bei den Firmen, die im Explorationsgeschäft tätig sind, zu hohen Umsatzeinbußen und weiteren Tausenden von Entlassenen. Die Arbeitslosenquote liegt schon bei 6 Prozent, dem höchsten Wert seit zehn Jahren. In den Vorstädten erreiche die Jugendarbeitslosigkeit mit 20 Prozent den Wert „der entgleisten Volkswirtschaften Südeuropas“, warnen Fürsorger.

Vor einem halben Jahrhundert schrieb der australische Gelehrte Donald Horne: „Australien ist ein glückliches Land, das größtenteils von zweitklassigen Typen geführt wird, die hoffen, dass sein Glück auf sie abfärbt.“ Damals lag der Rohstoffboom noch in weiter Ferne, Chinas Reformprozess sollte erst 15 Jahren später einsetzen. In den vergangenen Jahren hat Australien dann so von der Globalisierung profitiert wie zuletzt im Goldrausch im 19. Jahrhundert. Nur fand keine Regierung Mut und Mittel, sich auf schlechtere Tage vorzubereiten. Ein Staatsfonds – wie etwa im Rohstoffland Norwegen – wurde nicht angelegt, die Wertschöpfung vernachlässigt.

Australien muss aufwachen, die Selbstgefälligkeit beenden. Australien muss anfangen, sein Glück zu nutzen.