Es muss in den fünfziger Jahren gewesen sein, als mich der SPD-Vorsitzende und Antikommunist Rudi Marker mit den Büchern und Zeitungsartikeln von Albert Camus versorgte; als Schriftsteller hat Camus eine unter die Haut gehende Sprache, die bei mir mentale Schwindelanfälle auslöste. Camus lehnte den Kommunismus und jede Gewalt ab und stand damit im krassen Widerspruch zum politischen Main-Stream von Sartre und Konsorten, die sich nicht einmal dazu durchringen konnten, die Verbrechen Stalins und Maos zu verurteilen – ganz nach dem Motto: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Auch für seine Literatur wurde Camus von den französischen Intellektuellen verachtet und gehasst – ganz besonders nachdem er den Nobelpreis erhielt.
Viele Jahre nach Camus Tod und nach dem Ende des Kalten Kriegs mutierten seine Gegner vom Marxismus zum Antitotalitarismus; man begann Camus Haltung zum Algerienkrieg, zum Kommunismus und zur Gewalt zu verstehen.
„Die Geschichte hat ihm recht gegeben. Das Zeitalter der Ideologen mit seinen Lügen und seiner Heuchelei ist zu Ende. Camus erkannte die Entmenschlichung der linken wie rechten Politik. Er wollte Gerechtigkeit und Freiheit.“ (Michel Onfray)
Camus stand immer auf der Seite der Entrechteten und Armen; für ihn waren Werte wie Treue, Bescheidenheit, Aufrichtigkeit, Ehre und Würde wichtig. Der Vater von Camus war Landarbeiter und seine Mutter Putzfrau; ich werde nie seine warmherzigen und anrührenden Worte vergessen, die er über seine Mutter geäußert hat.
„Der Dichter unserer Jugend ist neu zu entdecken und man muss Sartre vergessen, um Camus wieder zu lesen. Als Philosoph einer zeitgenössischen Ethik der Verantwortung aller. „Die Pest“, „Der Fremde“ und „Der erste Mensch“ sind unsterbliche Romane der menschlichen Existenz.“ (Jürg Altwegg/FAZ)
Für Albert Camus war auch der Journalismus eine Frage der Moral: „Ein freier Journalist veröffentlicht nichts, was den Hass schüren oder die Verzweiflung fördern könnte. Wahrheit und Freiheit sind anspruchsvolle Geliebte, die nur wenige Liebhaber haben.“
Macha Sèry: „Wie der Fußball und das Theater war der Journalismus für Camus eine menschliche Gemeinschaft, in der er sich entfalten konnte, eine Schule des Lebens und der Moral.“
„Camus und der Fußball, das war Hörigkeit. Am glücklichsten sei er auf der Bühne und auf dem Fußballplatz. Es war der Sport der kleinen Leute, billig und prestigelos, aber ein wenig ebnete er doch die Klassenunterschiede ein und die Kluft zwischen den Völkern. In der Schule zu spielen, hatte seine Großmutter verboten, weil sich die Schuhe abnutzten. Er spielte trotzdem; zwischendurch war er Torwart; das zubetonierte Viereck, wo Camus so glücklich war, liegt an der Straße; der Torwart spielt barfuß; die Jungs kicken wie die Teufel; Fußball ist ein Kleine-Leute-Sport geblieben.
Er spiele aus Freude am Sieg nach der Anstrengung, hat Camus gesagt, und „wegen des absurden Drangs zum Weinen bei Niederlagen.“ (S.Z.)
Zitat aus „Der erste Mensch“ – Seite 190: „Mit den Fußballbegeisterten rannte er auf den zementierten Hof, der auf allen vier Seiten von Arkaden mit dicken Säulen umschlossen war (unter denen die Streber und die Braven plaudernd auf und ab gingen), und wenn er mit dem Ball am Fuß voranstürmte, um nacheinader einem Baum und einem Gegner auszuweichen, fühlte er sich wie der König des Hofs und des Lebens.“
„Aber letzten Endes war da nur das Geheimnis der Armut, die Menschen ohne Namen und ohne Vergangenheit hervorbringt.“ (Aus: „Der erste Mensch“)
Annabelle Hirsch: „Eines Tages, als der Regen von Algier endlich aufhört und er die Absperrungen um die Ruinenstätte von Tipasa einfach übergeht, findet er das Licht und die Luft und das Rauschen des Meeres von früher wieder und hat das Gefühl, sein lange stillgestandenes Herz beginne neu zu schlagen. Er findet die frühere Schönheit wieder, als würde sie sich hier jeden Tag neu erfinden. Und dann sagt er den Satz, der klingt wie das Ende einer Suche, die fast sein ganzes Leben dauerte:
„In den Tiefen des Winters erfuhr ich schließlich, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer liegt.“
Liebe Leser, ich möchte mit einigen Zitaten versuchen, meine Camus-Begeisterung zu vermitteln:
„Der Kalte Krieg trennte Frankreich in zwei unversöhnliche Lager. Die Kultur und die Intellektuellen standen links, waren Mitglieder der kommunistischen Partei oder zumindest ihre Weggefährten. Sartre verniedlichte den Gulag mit dem Hinweis auf die fehlenden Gaskammern (!!!). Camus bekämpfte den roten Totalitarismus.“
„Am Tag nach den Nürnberger Prozessen forderte Camus die Abschaffung der Todesstrafe. Im Spätsommer 1945 hatte Albert Camus als einziger prominenter französischer Intellektueller die Bedeutung und Bedrohung der Atombombe erkannt. In der im Widerstand gegründeten Zeitung „Combat“ reagierte er nach Hiroshima voller Entsetzen auf den größten „Vernichtungsrausch der Menschheit.“
„Camus erkannte die Entmenschlichung der linken wie der rechten Politik. Gerechtigekit ohne Freiheit führt zum Faustrecht des Stärkeren. Camus wollte die Freiheit u n d die Gerechtigkeit.“
„…. es kann schwerlich behauptet werden, die Todesstrafe sei dazu angetan, ihrer eigentlichen Aufgabe getreu mehr Frieden und Ordnung in das Gemeinwesen zu bringen. Es wird im Gegenteil deutlich, dass sie genau so empörend ist wie das Verbrechen und dass dieser weitere Mord die der Gesellschaft zugefügte Beleidigung nicht nur nicht wiedergutmacht, sondern durch eine neue Schmach verschärft. Wie wahr diese Feststellung ist, geht aus dem Umstand hervor, dass niemand offen von dieser Zeremonie zu sprechen wagt.“
„Camus bietet das Antiserum zur Fernsteuerung des Lebens: Du bist auf dich allein gestellt – und das nicht im anarchistischen, sondern im verantwortungsvollen, zur Welt stehenden Sine; darin liegt die Sprengkarft seines Denkens.“
Eine ganz wichtige Äußerung von Albert Camus darf ich als Fußball-Verrückter natürlich nicht verschweigen: „Alles was ich weiß über Moral und Gerechtigkeit verdanke ich dem Fußball.“
Albert Camus war auch ein großartiger Journalist; ich empfehle Ihnen sehr seine ins Deutsche übersetzten Bücher „Journalist in der Rèsistance“ (Laika Verlag Hamburg)
Fortsetzung in etwa vier Wochen.