Der Kalte Krieg begann 1944

Viktor Krawtschenko (V.K.) war Beamter bei der sowjetischen Einkaufskommission in Washington und kündigte seinen Job im April 1944 (zwei Monate vor der Landung der Alliierten in der Normandie). Unmittelbar nach seiner Kündigung war V.K. in New York untergetaucht und verbrachte die nächsten zwei Jahre damit, von einem Versteck zum anderen zu wechseln und die Öffentlichkeit über sein Leben in der Sowjetunion und die Gründe für seinen Bruch mit der totalitären Diktatur zu erklären.

V.K.s Buch „Ich wählte die Freiheit“ erschien im April 1946 in New York und wurde in 22 Sprachen übersetzt. Nur die großen Verlage in Paris winkten ab, als ihnen die Rechte angeboten wurden; man wollte sich nicht mit der Sowjetunion und schon gar nicht mit der Kommunistischen Partei Frankreichs anlegen, die bei den Wahlen im November 1946 28,6 Prozent erzielt hatte. Ein kleiner Verlag veröffentlichte das Buch und die aus der Résistance hervorgegangene Zeitung „Combat“ schrieb: „Entweder ist dies alles falsch; dann sollten geeignete Persönlichkeiten so bald wie möglich die Realität dieses Albtraums dementieren. Oder all dies ist wahr, dann erfüllt es uns mit Scham.“ Im November 1947 veröffentlichte die kommunistische Kulturzeitschrift „Les Lettres francaises“ den Artikel „Wie Krawtschenko fabriziert wurde“ und behauptete, das Buch sei eine Fälschung und im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes OSS von russischen Emigranten verfasst worden. V.K. klagte gegen die Zeitschrift und deren Chefredakteur André Wurmser und am 24. Januar 1949 begann in Paris ein Aufsehen erregender Prozess.

Die Beklagten hatten prominente Zeugen aufgeboten, darunter den Schriftsteller Vercors, den Physiker Joliot-Curie, den Philosophen Garaudy, den Erzbischof von Canterbury Dr. Johnson. Der Erzbischof sagte vor Gericht in biblischer Schlichheit: „Wenn V.K. die Wahrheit schreibt, dann habe ich in meinen drei Büchern über die Sowjetunion gelogen.“

Die russische Schriftstellerin Nina Berberowa, die für die in Paris erscheinende Exilzeitschrift „Ruskaja Mysl“ (Russisches Denken) den Prozess verfolgte, schrieb später in ihren Erinnerungen: „Mit eigenen Ohren anzuhören, wie ein ehemaliger Minister oder ein weltbekannter Wissenschaftler, Träger des Nobelpreises, oder ein Professor der Sorbonne, die Ehrenlegion am Revers, oder ein berühmter Schriftsteller zuerst den Zeugeneid ablegte, um dann zu versichern, daß es in der Sowjetunion keine Straflager gebe und niemals gegeben habe, war einer der stärksten Eindrücke meines Lebens.“

Der Richter fragte einen Zeugen, der 14 Jahre Zwangsarbeit (zuletzt beim Bau des Weißmeer-Kanals) hinter sich hatte: „Wie viele Gefangene gab es in dem Lager, wo Sie waren?“ – „Etwa achthunderttausend.“ – „Welches Ausmaß hatte dieses Lager?“ – „Der Kanal war 280 Kilometer lang. Das war das Lager.“ Margarete Buber-Neumann, die drei Jahre Sibirien und fünf Jahre Ravensbrück überlebt hatte, schätzte, dass „ihr“ Lager zweimal so groß wie Dänemark war.

Jean-Paul Sartre stellte in seiner Zeitschrift „Les Temps modernes“ den sowjetischen Lagern, die nicht länger in Abrede gestellt werden konnten, die Gefangenenlager auf griechischen Inseln während des Bürgerkrieges und die Untaten der Kolonialmächte gegenüber. Sartre: „In jedem Fall steht die Sowjetunion „grosso modo“ auf der Seite derjenigen, die gegen die Ausbeutung des Menschen kämpfen.“ Mehrere berühmte Intellektuelle wie Raymond Aron und Francois Mauriac vermieden es, klar Stellung zu beziehen; die unausweisliche Tatsache der Vergleichbarkeit der beiden totalitären Regime sprach vor Gericht kein bedeutender Denker aus, sondern ein ukrainischer Schlosser: „In Hitlers Deutschland, wo wir Dachau und Buchenwald gesehen haben ist ein Diktator gestürzt worden. Ich sage Euch: In Stalins Rußland gibt es hunderte Buchenwalds.“

Nach 25 Verhandlungstagen wurden die Beklagten in allen Punkten der Verleumdung für schuldig befunden.

30 Jahre später nannte Claude Morgan, der sich nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands 1956 von der kommunistischen Partei getrennt hatte, seinen Parteigenossen André Ulman als Urheber der veleumderischen Fälschung: „Sie haben Recht gehabt, Krawtschenko!“

Viktor Krawtschenko beging am 26. Februar 1966 in einem New Yorker Hotel Selbstmord. Sein Fall hatte eine Bresche in die Mauer des Schweigens geschlagen, die nicht mehr zu schließen war.