Die Kultur des Abendlands

Die sogenannte Erbgesundheitslehre (Eugenik) wollte durch die Förderung der Fortpflanzung Erbgesunder oder die Eindämmung der Fortpflanzung Erbkranker das Erbgut von Populationen verbessern. Diese Lehre behauptete, dass Veränderungen der äußeren Lebensbedingungen langfristig n i c h t zur Verbesserung der Menschheit führen – das wäre nur möglich durch die Veränderung des Genoms.

Im Jahr 2001 wurde die Erbgesundheitslehre mit der vollständigen Analyse des menschlichen Genoms widerlegt. Die geringe Anzahl der Gene (30.000 statt erwarteter 100.000) führte zu der schockierenden Erkenntnis, dass nur etwa 300 Gene den Menschen von einer Maus unterscheiden.

Der genetische Determinismus ist als Erklärungsmuster für die menschliche Komplexität widerlegt und bis heute ist keine Alternative in Sicht.

Die überwältigende Ähnlichkeit von Genomen der verschiedenen Arten bestätigt die Vermutung von Wissenschaftlern, dass nicht unsere Gene allein die unüberschaubare Vielfältigkeit des Lebens auf der Erde erklären können.

97 Prozent meiner Gene sind also mit jenen einer Maus identisch.

Bescheidenheit ist angesagt: Über Gott, das Jenseits, die Entstehung der Welt wissen wir nichts.

Der Mensch wird von den frühkindlichen Lebensumständen geprägt; diese Einflüsse beginnen schon im Mutterleib und sind in den ersten Stunden, Tagen und Monaten nach der Geburt von entscheidender Bedeutung. Das seelische und charakterliche „Vermögen“ ist bis zum 6. Lebensjahr sehr stark beeinflussbar und kann bis zur Pubertät von von Familie, Freunden, Schule und Sportvereinen positiv geprägt werden. Umgekehrt wird natürlich auch ein Schuh daraus: Thema Chancengerechtigkeit. Wenn zu destruktiven Einflüssen im Elternhaus die Berge von Gewalt und Hass in den Fernseh- und Internetmedien hinzukommen, was heutzutage die Regel und nicht die Ausnahme ist.

Das ist dann die neue „Kultur des christlichen Abendlands“, von der gewisse Leute sprechen, die das Flüchtlingsthema politisch ausschlachten wollen.

Auch integre Menschen und Medien sehen das christliche Abendland vor dem Abgrund. Welches Christentum meinen sie?

  • Meinen sie die unendlich brutale Gewalt, die im Alten Testament propagiert wird und auf die sich beide Kirchen immer noch vollumfänglich berufen?
  • Meinen sie die uneingeschränkte Nächstenliebe von Jesus Christus?
  • Meinen sie das Verhalten der Kirchen in Deutschland während des Nazi-Regimes?
  • Meinen sie den Judenhass von Martin Luther?
  • Meinen sie die Menschen verachtende Inquisition und die Hexenverbrennungen?
  • Meinen sie die östlich-orthodoxen Kirchen oder die Lutheraner oder die Calvinisten oder die Anglikaner oder die Baptisten, die alle ihre eigene Ethik festgelegt haben und sich teilweise völlig unterscheiden?
  • Meinen sie auch die Glaubenswelten der Juden (Altes Testament!)?

Deutschland ist eine offene pluralistische Gesellschaft und für das friedliche Zusammenleben der vielen unterschiedlich Denkenden und Handelnden ist einzig und allein die Rechtsordnung zuständig. Rechtsgehorsam ist dabei deutlich zu unterscheiden von „einheimischen Kulturwerten“.

Auf der Wiesn mögen auch Deutschtürken Tracht tragen und niemand darf ihnen das verbieten. Entscheidend ist nicht der Glaube, sondern die Integration über Sprache, Bildung und Gesetzestreue.

Der Theologe Richard Schröder sagt zum Flüchtlingsthema im Rechtsstaat: „Die Kirchen können von ihren Mitgliedern mehr Barmherzigkeit verlangen; davon und von Herz für die Elenden kann es nicht genug geben. Der Staat aber darf nicht barmherzig sein. Der Staat muss gerecht sein. Er hat nach Regeln zu handeln und er hat die Folgen zu bedenken.“

Wo ist die denn die Abendländische Kultur noch außerhalb der Feuilletons? Natürlich gibt es wunderbare Theaterstücke, Opern, Konzerte und Museen – aber diese Hochkultur wird noch von etwa einem Prozent der Deutschen frequentiert. Wer interessiert sich noch für Politik, Geschichte oder Philosophie? Wer liest noch Sachbücher? Wieviel Promille unserer lieben Mitmenschen wissen, welche Beziehung Friedrich der Große zum Flüchtlingsthema hatte oder was das Ermächtigungsgesetz bewirkt hat und wer ihm zugestimmt hat oder was 1905, 1917 und 1989 in Russland geschah oder was die wichtigste Aussage unseres Grundgesetzes ist oder was die Marktwirtschaft in Europa vom Turbokapitalismus in den USA unterscheidet oder wer Imrè Kertesc war oder was sich 1789 ereignet hat und was die Folgen waren oder was der Unterschied zwischen Monet und Manet ist oder wer Berta Benz und Jeanne d`Arc waren?

Unsere Kultur ist nicht bedroht durch die unterschiedlichen Religionen oder durch Flüchtlinge. Unsere Kultur und vor allem unsere Demokratie und unser Rechtsstaat sind bedroht von einem ausufernden Hass, der vor allem im Internet – aber auch in Teilen der Medien geschürt wird – und das wird täglich schlimmer. Um das zu beweisen, reicht es schon, das g e s a m t e Fernsehprogramm eines einzigen Tages zu studieren!