= „Wir stammen von den Schiffen“ sagen die Argentinier, wenn man sie nach ihrer Herkunft fragt. Fast alle Bewohner des Pampalandes stammen von Einwanderern ab. Die indigene Bevölkerung war von den spanischen Eroberern und vor allem durch den grausamen „Wüstenfeldzug“ des argentinischen Generals Julio Argentino Roca weitgehend ausgelöscht worden. Heute gibt es in Argentinien ebenso so viele Deutschstämmige wie Nachfahren der Ureinwohner – jeweils rund eine Million Menschen. Die meisten Argentinier stammen von Italienern und Spaniern ab; in der Zeit des Nationalsozialismus kam fast jeder dritte Einwanderer aus Deutschland. Bis zum Beginn der Nazizeit waren die deutschen Einwanderer überwiegend männlich, jung und unverheiratet. Nur ein Drittel kam mit Familie nach Argentinien, schreibt die Soziologin Beate Hock in ihrem Buch „In zwei Welten“, das sich in zwanzig exemplarischen Frauenporträts ganz auf die Minderheit der aus Deutschland eingewanderten Frauen konzentriert.
Wirtschaftliche und politische Gründe veranlassten auch die Großväter von Ronaldo Kürbs, aus dem Deutschland der Weimarer Republik nach Argentinien auszuwandern; der Großvater mütterlicherseits war ein notorischer Spieler und vor seinen Gläubigern aus München nach Buenos Aires geflohen. Der andere, ein Gewerkschafter und Sozialist, hatte sich als Arbeiter bei Opel an einem Streik beteiligt und war deswegen entlassen worden. Der Werkzeugmacher Karl Kürbs entschied sich für Argentinien – nicht zuletzt deswegen, weil er schon in Deutschland zum Fan des berühmten Fußballclubs Boca Juniors geworden war; sein Sohn Karl-Heinz, der bei der Übersiedlung 1924 erst neun Jahre alt war, wurde argentinischer Jugendmeister im Zehnkampf und bekam 1936 das Angebot, in die Leibgarde Adolf Hitlers einzutreten. „Wenn du das annnimst, bist du nicht mehr mein Sohn“, beschied Vater Karl. Der Sohn blieb. „Darum bin ich heute hier“, sagt Enkel Ronaldo.
Das war Argentinien, und das ist es: Einwanderungsland. Für viele war es nicht erste Wahl. Bobzins Großvater wollte eigentlich in die Vereinigten Staaten; doch im Hafen von Genua gab es auf Monate keine Passagen dorthin. In vier Tagen ginge jedoch ein Schiff nach Buenos Aires, sagte man ihm. „Wo ist denn das?“ fragte Franz. „In Südamerika.“ „Das ist auch gut“ – und los ging es in ein neues Leben.
„Argentinien ist doch ein Hort für Nazis“, heißt es oft, wenn die Rede auf das südamerikanische Land als Ziel deutscher Einwanderer kommt. Tatsächlich flohen zahlreiche NS-Kriegsverbrecher wie Adolf Eichmann, Josef Mengele oder Erich Priebke nach dem Zweiten Weltkrieg auf den sogenannten „Rattenlinien“ nach Argentinien. Weniger bekannt ist dagegen, dass in der Zeit des Nationalsozialismus auch Abertausende Juden in Argentinien Zuflucht vor den Nazis fanden.