Die Welt ist ein Dorf

Über viele Jahrhunderte sind Deutsche in viele Länder der Welt ausgewandert, weil sie sich ein menschenwürdiges Leben erkämpfen wollten. Bei dem Film „Die andere Heimat“ von Edgar Reitz geht es um die Auswanderung von tausenden Menschen aus dem Hunsrück und aus Deutschland:

„Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht“ (Ein Film, der unter die Haut geht)

Der Hunsrück, eine Mittelgebirgslandschaft in Rheinland-Pfalz, erstreckt sich von West nach Ost über Hochwald, Idarwald, Lützelsoon, Soonwald und Binger Wald über rund 100 Kilometer zwischen Trier und dem Mittelrheintal, in der Breite zwischen Mosel und Nahe in einer Zone von rund 50 Kilometern. „Mosel, Nahe, Saar und Rhein schließen rings den Hunsrück ein!“ – mit dieser sogenannten Eselsbrücke wurde Generationen von Schulkindern die Lage ihrer Hunsrückheimat nahegebracht. Die Gegend, die durch eine schöne und waldreiche Naturlandschaft besticht, gilt als strukturschwaches Gebiet, größere Industriegebiete stellen die Ausnahme dar.

Im Hintergrund des Films steht ein außergewöhnliches Ereignis der deutschen Geschichte: Hunderttausende von Landsleuten verließen im frühen 19. Jahrhundert die Heimat und zogen in die „Neue Welt“. Oft waren es ganze Familienverbände, die sich gemeinsam entschlossen, ihren gewohnten Lebensraum hinter sich zu lassen. In manchen Gegenden entstand buchstäblich eine Auswanderungs-Obsession. Man muss sich wohl vorstellen, dass es jahrelang in den Kneipen, unter den Dorflinden und während der Familienfeste kein aktuelleres Gesprächsthema gegeben hat, als die Erwägung, die ganze Mühsal des deutschen Alltagslebens einfach abzustreifen und ein neues Lebensglück jenseits der Weltmeere zu suchen.

Der Hunsrück gehörte zu den Regionen Deutschlands, die am stärksten von der Auswanderung betroffen waren. Die meisten Auswanderer suchten das Glück im fernen Brasilien, von wo aus die brasilianische Regierung unter Kaiser Pedro I. und seiner österreichischen Frau Maria Leopoldine größte Anstrengung unternahm, in Deutschland Einwanderer anzuwerben, um das Land urbar zu machen. Besonders gesucht waren Menschen, die sowohl Handwerk als auch Landwirtschaft beherrschten.

Diese Kombination von Kenntnissen fand man vor allem in ärmeren Gegenden Deutschlands, dort, wo die Bauernhöfe klein und ertragsarm waren, sodass die Söhne immer noch ein Handwerk ausüben mussten, um die Familien ernähren zu können. Kein Landstrich erfüllte solche Bedingungen besser, als der Hunsrück. Allein im Jahr 1846 wurden 1230 Familien aus dem Hunsrück gezählt, die im Süden Brasiliens ankamen, um ein neues Leben zu beginnen.

In den entlegenen Gegenden Deutschlands, zu denen auch der Hunsrück zählte, war erst nach dem Wiener Kongress die allgemeine Schulpflicht eingeführt worden. Bauern- und Handwerker-Kinder hatten nach 1815 erstmals Zugang zu Büchern, Zeitungen, den sogenannten „Intelligenzblättern“ und Kalendergeschichten und lernten, lesend die Welt „mit wissendem Blick“ zu betrachten.

Die Kenntnis von Geografie, Geschichte und Politik war seitdem enorm gewachsen, während gleichzeitig die Enge und Aussichtslosigkeit des eigenen Landes immer klarer ins Bewusstsein rückte und in Freundeskreisen diskutiert wurde. Die Jahre des sogenannten „Vormärz“ waren zugleich die Zeit der deutschen Romantik und der erwachenden Freiheitsideale. Die Menschen entdeckten ihr „Ich“ auf neue Weise. Sie spürten einen inneren Reichtum, der aus ihren Gefühlen, ihren Gedanken, ihren Fähigkeiten entstehen konnte; kurz: es war ein neues geistiges und soziales Klima, aus dem heraus die große Auswanderungswelle ihre Dynamik gewann.