Ethischer Realismus statt universalistischer Moralismus !

Dieser Artikel von Heinz Theisen (Professor der Katholischen Hochschule Köln) erschien vor ein paar Jahren in der FAZ und hat an seiner Aktuallität nichts eingebüßt:

Die Interventionen und Demokratisierungsbemühungen des Westens haben in der islamischen Welt von Afghanistan über den Irak bis Lybien niederschmetternde Ergebnisse hervorgebracht. In den palästinensischen Autonomiegebieten führten die vom Westen erzwungenen freien Wahlen zur Merhrheit der islamischen Hamas, zu Bürgerkrieg und Spaltung der Autonomiegebiete. Im Irak wurden die Konfessionskämpfe zwischen Schiiten und Sunniten freigesetzt, die sich heute im gesamten Mittleren Osten zu einer erbitterten Konfrontation zwischen den jeweiligen Vormächten Iran und Saudi-Arabien zuspitzen.

Fremde Kulturen sind uns deshalb fremd, weil wir sie nicht verstehen. Solange der Westen diese wesenhafte Fremdheit nicht akzeptiert, schadet er seiner Position in der neuen multipolaren Weltordnung, die weder den ideellen noch den strukturellen Universalismus des Westens zu akzeptieren bereit ist. So versteht Russland die geplante Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die Nato als Eingriff in die eigene Interessensphäre. Wer Russland oder auch China keine Machtspähre zubilligt, erhebt damit Anspruch auf eine universelle, westliche Einflussspähre.

Für eine Realpolitik der Kulturen ist sowohl die Abkehr vom politischen Universalismus des Westens als auch vom religiösen Universalismus des Islam erforderlich. Statt um Einmischung geht es um Distanz, statt um Interkulturalismus um eine Beschränkung auf Handel und auf technologischen Wandel.

Der universalistische Moralismus des Wesens muss durch einen ethischen Realismus ersetzt werden. Dieser umfasst Verhaltensregeln wie Vorsicht, Demut gegenüber Unabänderlichkeiten, Studium der Kulturen, Verantwortung gegenüber den Folgen und Akzeptanz der Werteordnungen fremder Kulturen. Der Westen kann sich nur behaupten, wenn er nach innen unterscheiden lernt, was zu tolerieren ist, und nach außen, was zu ändern und was nicht zu ändern ist. Er muss unterscheiden, was verallgemeinerbar ist und was partikular beleiben soll.