„Europa braucht eine Verteidigungsunion“

  • Konsens herrscht in einem Punkt: Kein amerikanischer Soldat wird sein Leben für die Ukraine riskieren. Kiew wird kein zweites Kabul werden. Wer diese Fakten kennt, sollte sich darauf einstellen, dass die unlängst auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz beschworene transatlantische Einigkeit nicht unbedingt von Dauer sein muss.
  • Die Bundesregierung sollte sich zur deutsch-französischen Rolle eines Motors für Kerneuropa bekennen, wobei alle Initiativen für andere europäische Staaten offen sein müssen. Es braucht einen Antreiber, denn der sicherheitspolitische Weg hin zu einer Verteidigungsunion – er wurde letztmalig in den 1950er Jahren beschritten, scheiterte dann aber am Veto der französischen Nationalversammlung – wird nicht im Gleichschritt erfolgen, zumal es Selbst- und Fremdblockaden zu überwinden gilt.
  • Berlin und Paris müssen ein Konzept für eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik erarbeiten.
  • Washington dürfte kaum an einem Gelingen europäischer Rüstungsinitiativen und Verteidigungsstrukturen gelegen sein. Schließlich würden die Europäer, sollte das FCAS-Projekt erfolgreich sein, nicht nur ihre militärische, sondern auch ihre technologische Abhängigkeit von den USA verringern und ihre eigene Souveränität stärken. Washington will zwar, dass die Europäer mehr Geld für Militär ausgeben – aber vor allem für amerikanische Rüstungsgüter. Der politisch-militärische Komplex in den USA sieht es nicht gern, wenn Verbündete technologisch unabhängig werden.
  • Solange die Bundesregierung die nukleare Teilhabe fortführt, delegiert sie letztlich die Entscheidung über Deutschlands Sicherheit an den jeweiligen Amtsinhaber im Weißen Haus.
  • Eine gemeinsame deutsch-französische Außen- und Sicherheitspolitik sollte sich auch auf die nukleare Abschreckung erstrecken. Schließlich ist Paris – wie schon zu Zeiten von Staatspräsident Charles de Gaulle – ja durchaus bereit, seinen atomaren Schutz in eine europäische Gesamtstrategie einzubringen, also als europäischer Pfeiler innerhalb der Nato. Deutschlands Teilhabe an der „Force de Frappe“ würde vermutlich mehr Sicherheit bringen als die von den USA dominierte „nukleare Teilhabe“.
  • Wenn Deutschland als stärkste Volkswirtschaft Europas sein sicherheitspolitisches Schicksal an das militärisch mächtigere Frankreich knüpfte, würden auf dem europäischen Kontinent, anders als in der Vergangenheit, Sorgen vor einem Großmachtstreben Berlins endgültig zerstreut. Für die notwendige europäische Sicherheitsunion wäre das eine wertvolle psychologische Vorleistung.

Ausschnitte aus einem Artikel von Josef Braml (Politologe und Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Denkfabrik Trilaterale Kommission) im Handelsblatt.