Jean-Yves Le Drian verliert nicht leicht die Contenance. Der 74 Jahre alte französische Außenminister ist einer der erfahrendsten Minister in Europa und tritt stets besonnen auf. Doch die Art und Weise, wie Joe Biden Frankreich in der strategischen Partnerschaft mit Australien an den Rand drängt, hat den wortkargen Bretonen wütend gemacht. Er verglich Biden mit Trump und empörte sich über eine „brutale und unvorhersehbare Entscheidung“. Dabei ging es ihm nicht nur um das U-Boot-Geschäft, das er als Verteidigungsminister (2012 – 2017) mit Australien eingefädelt hatte. Es schockierte ihn viel mehr, wie Frankreich ausgebootet und nur wenige Stunden vor Bekanntgabe der neuen Sicherheitspartnerschaft zwischen USA, Großbritannien und Australien darüber informiert wurde. Ein „Dolchstoß in den Rücken“ sei das, sagte der sonst so gelassene Minister. Unter seiner Ägide hatte Frankreich eine ehrgeizige Strategie für den Indo-Pazifik-Raum vorgelegt und Partnerschaften mit Indien und Australien aufgebaut. Le Drian trug dabei die Überzeugung, daß Europas Wirtschaftsinteressen in der Region zu groß seien, um sich der aggressiven amerikanischen Indo-Pazifik-Strategie unterzuordnen.
Mit Australien wurde nach dem U-Boot-Geschäft 2016 im Februar 2019 ein umfangreicher Vertrag über eine Sicherheitspartnerschaft unterzeichnet. Am 30. August, vor gut zwei Wochen, traf sich Le Drian zum ersten Mal im neuen Zwei-plus-zwei-Fomat der Außen- und Verteidigungsminister beider Länder. Australien sprach anschließend viel von der „starken strategischen Partnerschaft“, die mit Frankreich vertieft werde. Le Drian äußerte jetzt, dass die australische Seite betrogen habe. Derartige Töne waren von ihm nicht zu hören, als er nach der russischen Annexion der Krim die Auflösung des Kaufvertrags über französische Hubschrauberträger des Typs Mistral an Russland aushandeln musste. Es gelang ihm später, die Schiffe an Ägypten weiterzuverkaufen.
Der langjährige Bürgermeister der Hafenstadt Lorient und Abgeordnete zählte in der Sozialistischen Partei zur Minderheit derjenigen, die eine Rückkehr in die integrierten NATO-Strukturen nicht ablehnten. Nach dem Machtwechsel 2012 bestärkte er Präsident Hollande darin, die NATO-Zusammenarbeit auszubauen. Doch bereits im August 2013 wurde sein Vertrauen in die Regierung Präsident Obamas schwer erschüttert. In Frankreich waren die Rafale-Kampfflugzeuge schon startbereit, als Obama in letzter Minute die Intervention in Syrien absagte.
Der überzeugte Europäer Le Drian dürfte nach der neuen Enttäuschung durch Amerika noch stärker als bisher für mehr strategische Autonomie der EU eintreten. (Michaela Wiegel)