Fremde Federn – Dialog statt Eskalation

Helmut Schäfer (Staatsminister im Auswärtigen Amt 1987-1998), Edmund Stoiber (bayrischer Ministerpräsident 1993-2007), Hörst Teltschik (Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz 1999-2008), Günter Verheugen (EU-Kommissar 1999-2010), Antje Vollmer (Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages 1994-2005)

Mit großer Sorge beobachten wir den sich zuspitzenden Konflikt zwischen Russland und dem Westen. Gegenseitige Sanktionen, die Schließungen von Einrichtungen und Dialogforen, die einmal der Verständigung und Kooperation dienten, folgen in immer schnellerem Rhythmus. Wir haben es inzwischen mit einer beunruhigenden Entfremdung zu tun. Das gegenseitige Verhältnis ist bestimmt von gegenseitigen Schuldzuweisungen, Verdächtigung und militärischen Drohgebärden.

Vor diesem Hintergrund wäre es hilfreich, wenn wir uns alle darauf besinnen würden, dass das Ende des Kalten Krieges schon einmal von beiden Seiten proklamiert worden ist. Das Wort vom „Gemeinsamen Haus Europa“ sollte uns noch genauso gegenwärtig sein wie Putins Rede vor dem Deutschen Bundestag 2001, in der er ein langfristiges und umfassendes Kooperationsangebot machte. Wir neigen dazu, unseren Teil der Verantwortung für das bisherige Scheitern eines gesamteuropäischen Projektes auszublenden. Die Kernfrage ist, ob der Westen Russland als einen gleichberechtigten Partner in allen globalen Fragen anerkennen will oder nicht. Aus unserer Sicht gibt es zur gleichberechtigten Partnerschaft keine vernünftige Alternative.

Viele Westeuropäer sind heute alarmiert und fürchten Krieg. Viele betrachten Russland als Gefahr. Umgekehrt sieht die Mehrheit der Russen ihr Land zu Unrecht vom Westen an den Pranger gestellt. Sie verstehen nicht, warum dieser Kurs besonders aus Deutschland unterstützt wird, dem Land, das einmal der Hauptmotor der Entspannungspolitik war, die wesentlich zur deutschen Wiedervereinigung und dem damaligen Konzept einer gemeinsamen europäischen Friedensordnung beigetragen hatte. Das Versprechen vom Ende des Kalten Krieges aus der Charta von Paris (1990) wurde nie eingelöst. Stattdessen wird mit dem Beschwören einer russischen Bedrohung eine neue Aufrütungsoffensive in Gang gesetzt.

Die Spirale aus Maßnahmen und Ge-genmaßnahmen löst sich zunehmend von den realen Gründen und Anlässen. Anders als nach dem Ende des Kalten Krieges gedacht, ist die Weltlage heute geprägt von Unordnung und Unvorhersehbarkeiten. Ein Zusammenbruch der westlich-russischen Beziehungen und der Abbruch fast aller Gesprächsforen drohen auch noch den Rest an globaler Stabilität zu gefährden. Die Erinnerung an zwei Weltkriege mit Millionen von Toten verblasst. Die rhetorische Eskalation und die Produktion von Feindbildern in Politik und Medien bleibt nicht ohne Wirkung. Worauf es jetzt in erster Linie ankommt, ist die Überwindung der Sprach-osigkeit. Über alle Konflikte und Streitpunkte mit Russland muss offen geredet werden, ohne Vorbedingungen, Vorverurteilungen und Drohungen. Wir sollten eine Politik entwickeln, die sich ausschließlich am internationalen Recht und an der gemeinsamen Verantwortung für das Schicksal der gesamten Menschheit ausrichtet. Deutschland und die Europäische Union sollten dazu die Initiative ergreifen. Die Idee einer gesamteuropäischen Partnerschaft ist zwar nicht neu, aber wartet auf Verwirklichung.

Das ist das richtige und große außenpolitische Thema dieser Legislaturperiode. Wer das nicht sehen will, ist blind für die Gefahr eines dritten und letzten Weltkrieges.