„Fußball funktioniert wie Rock ’n Roll!“

Für BAP-Gründer und Musiker Wolfgang Niedecken ist Fußball ein Lebenselixier. Und der l. FC Köln ist seine Leidenschaft. Ein Gespräch über den Abstiegs-Blues und den Südkurven-Chor, das fabelhafte Duo Ribery/Robben sowie gute und böse Fans.

Herr Niedecken, eben auf dem Weg hierher habe ich ständig Autos mit einem Aufkleber vom l. FC Köln gesehen. Freuen Sie sich, wenn Sie unterwegs auf Gleichgesinnte treffen?

Ich denke dann fast in der Terminologie meiner Frau, die gewöhnlich sagt: noch so ein Wahnsinniger. Man ist ja leidensfähig als FC-Fan. Die Fußballfans, die immer nur feiern, wie toll alles ist, die werden sich überall in Deutschland aus Bayern-München-Anhängern zusammensetzen. Die können sich so oft freuen, bis es fast langweilig wird.

Beneiden Sie die Bayern-Fans nicht um ihre Freude auf hohem Niveau?

Nicht wirklich, ich hätte ja die Möglichkeit, als Zweitverein zum FC Bayern zu halten, weil meine Frau aus Bayern kommt. Meine Töchter hätten sich auch anders entscheiden können.

Wie haben sie sich entschieden?

Die jüngere Tochter interessiert sich nicht für Fußball, die ältere ist fast so FC-verrückt wie ich, die leidet auch, wenn es am Wochenende schiefgeht. Wobei man immer mit sich kämpft, dass man es aus dem Kopf kriegt. Ein Wochenende vom Fußball versauen lassen, das geht nicht. Ich will mich nicht gehenlassen und für schlechte Stimmung in der Familie sorgen.

Gewöhnlich stehen Sie mit BAP auf der Bühne, bekommen Reaktionen von den Fans. Wie verhalten Sie sich im Stadion als Fan von jungen Fußballspielern?

Ich freue mich, wenn das Spiel losgeht, ich bin dann hochkonzentriert, wie überhaupt das ganze Spiel über. Ich freue mich über ein Tor, und jeder, der nicht rechtzeitig auf den Baum kommt, wird von mir umarmt. Ich käme aber niemals auf den Gedanken, einen Spieler auszupfeifen. Weil die Kerle auf dem Platz dermaßen jung sind und überhaupt noch nicht damit klarkommen können. Ansonsten will ich meine Ruhe haben. Ich will sehen, was dort unten gespielt wird, da soll mich nicht ständig einer ablenken oder fragen. Demnächst, wenn es auf die Fußball-Weltmeisterschaft zugeht, werde ich zu Hause wieder allen den üblichen Grundkurs erteilen: Mit roten und grünen Mensch-ärgere-dich-nicht-Figürchen werde ich auf einem gezeichneten Spielfeld alle Regeln zu Abseits und passivem Abseits erklären. Damit mich die Laien nicht während eines WM-Spiels ständig mit Fragen löchern, sobald wir alle vor dem Fernseher sitzen. Irgendwann haben sie alle die Abseitsregeln kapiert – aber zwei Jahre später bei der Europameisterschaft wieder vergessen.

Manchmal himmelhoch jauchzend, manchmal zu Tode betrübt – ist es das, was den gemeinen FC-Anhänger auszeichnet?

Ich glaube, diesen speziellen FC-Fan gibt’s gar nicht. Obwohl das gerne behauptet wird. Beispielsweise kenne ich überhaupt keine FC-Anhänger, die nach drei Unentschieden in Serie schon wieder von der Champions League träumen. Ich kenne nur FC-Fans, die eine gewisse Leidensbereitschaft mitbringen und die den Ball schön flach halten. Nach fünf Abstiegen, den ersten 1998 ausgerechnet im Jahr des 50-jährigen Vereinsbestehens, müssen Sie das Leiden fast schon liebgewonnen haben. Der erste Abstieg war ganz furchtbar. Ich fuhr mit unserem Schlagzeuger durch die Alpen in Richtung Italien, als mich Toni Polster zehn Minuten nach dem Abpfiff anrief und wortwörtlich sagte: „Wolferl, wir ham’s nimmer gpackt.“ Ich fand es großartig, dass sich Polster persönlich meldete, um die schlechte Nachricht zu überbringen. Das war nach dem vorletzten Saisonspiel, aber aus einem nicht erklärbaren Aberglauben habe ich gehofft, dass im letzten Spiel vielleicht noch irgendein Wunder passiert. Damals waren wir auf Elba und haben dort für unser „Comics & Pin-ups“-Album geprobt. Als dann auch dieses Spiel verloren war, habe ich mich auf mein Motorrad gesetzt und bin einmal um die Insel gefahren. Ich wollte keinen hören und sehen, und nach meiner Rückkehr hat keiner gewagt, zu lästern. Das war auch gut so, denn ich hatte nah am Wasser gebaut. Nach so vielen Jahrzehnten, in denen man sich sicher war, dass der 1. FC Köln niemals untergehen wird, ging er tatsächlich unter. Bei den anderen vier Abstiegen habe ich gedacht, okay, es ist letztlich ein sportlicher Wettkampf, und wenn man sich nicht für die erste Liga qualifiziert, dann muss man das akzeptieren.

Soll das heißen, als Fan kann man sich an Abstiege gewöhnen?

Natürlich ist jeder Abstieg mit einem kleinen Blues verbunden. Es gab Jahre, in denen die Leute sagten: Die schönste Zeit im Stadion ist eigentlich die halbe Stunde vor dem Spiel.

Welchen Unterschied macht es für Sie, ob der FC in der ersten oder zweiten Liga spielt?

Ich antworte über einen kleinen Umweg: Ich habe immer gehofft, dass Greuther Fürth niemals in die erste Liga kommt. Ich habe gehofft, die wären clever genug, dass sie schön zweitklassig bleiben, weil die kleine Region einfach keine zwei Erstligamannschaften verträgt. Ich hatte die Fürther immer im Verdacht, dass die zum Schluss extra lieber auf dem Relegationsplatz landen würden. Aber irgendwann haben sie dann doch mal den Fehler begangen und sind aufgestiegen. Darunter hat der Verein sehr gelitten. Beim FC ist es so, dass ich es natürlich schöner finde, wenn alle zwei Wochen große Mannschaften in Köln spielen, und zwar über einen längeren Zeitraum. Aber eine Saison, in der man nur auf die Mütze kriegt, die muss man auch durchhalten. In diesem Zusammenhang übrigens: Hut ab vor den Braunschweigern. Ich habe ja dieses Lied geschrieben …

Sie meinen sicherlich „Woröm dünn ich mir dat eijentlich ahn“. Also: Warum tun Sie sich das an?

Weil ich es nicht anders kann. Ich bin ja zu der Erkenntnis gekommen, dass man sich genau drei Sachen nicht aussuchen kann: Vater, Mutter und den Klub, mit dem man leiden muss.

In der laufenden Zweitligasaison haben Sie doch oft zufrieden sein können. Der l. FC Köln startet kommende Woche als Tabellenführer in die letzten 15 Spiele. Freuen Sie sich schon auf die Rückkehr in die erste Liga?

Diese Saison macht einen großen Spaß. Und zwar nicht nur deswegen, weil wir öfter gewinnen, sondern weil wir einen deutlich besseren Fußball spielen als im vorigen Jahr. Obwohl es letzte Saison bis kurz vor Schluss ja so aussah, als ob wir mit Hängen und Würgen noch aufsteigen können. Aber wenn ich aus dem Stadion kam und danach die Bayern oder Dortmund im Fernsehen angeschaut habe, habe ich mir gesagt: Mensch, Fußball kann auch ein eleganter Sport sein! In diesem Jahr sieht es dagegen gut aus: Das Kurzpassspiel und Spielaufbau funktionieren, wir haben einen tollen Torwart, die beste Abwehr der zweiten Liga, zwei gefährliche Mittelstürmer, auch Marcel Risse ist torgefährlich. Es wird wieder richtig Fußball gespielt und nicht so ein Pausenkick auf dem Schulhof. Trainer Stöger und Manager Schmadtke sind ein großer Zugewinn, die halten den Ball flach. Aber alle werden sich erst richtig beweisen müssen, wenn es mal wieder schlechter läuft: wie man einen kleinen Einbruch gemanagt kriegt, wenn wieder alle nach vorne preschen und meinen, wichtige Interviews geben zu müssen, obwohl eigentlich Zurückhaltung angesagt wäre.

Im Stadion herrscht seit der vergangenen Saison so oder so große Ausgelassenheit. Die FC-Anhängerschaft kommt zu Zehntausenden, nimmt selbst schwächere Spiele klaglos hin und verbreitet viel Frohsinn. Woher kommt diese wundersame Wandlung in Köln?

Ich würde eher fragen, warum ist es in anderen Regionen nicht so? Man kann man die Sinnfrage stellen, wenn man nach Hoffenheim blickt: Wenn nicht gerade ein Spitzenklub kommt, ist das Stadion halbleer. Dasselbe gilt für Wolfsburg. Vielleicht hat es ein bisschen was mit Synthetik zu tun, dass nicht wirklich etwas gewachsen ist, wo Leute den Begriff Heimat mit in Zusammenhang bringen.

Manchmal liegen die jeweiligen Heimaten nah beieinander. Was bedeutet für Sie als Kölner Fan die Rivalität zu Borussia Mönchengladbach, Bayer Leverkusen oder Fortuna Düsseldorf?

Derbys gibt es ja an vielen Orten, aber diese Rivalität darf nicht dazu führen, dass man sich hasst. Hass ist etwas ganz Furchtbares, das gehört nicht in den Fußball. Hooligans sind Spielverderber. Nachdem der FC im Mai 2012 wieder in der zweiten Liga gelandet ist, nach dem Spiel gegen die Bayern, und auf einmal gingen in der Südkurve, wo ich früher selber gestanden habe, schwarze Rauchwolken hoch, da habe ich gedacht: O Gott, das will ich bei meinem FC nicht erleben! Und wenn sich das fortgesetzt hätte, wäre ich nicht mehr hingegangen. Ich gehe in der Regel mit meiner Tochter oder mit meinen Söhnen ins Stadion, bin also verantwortlich, dass ihnen nichts passiert, wenn es zu Krawall kommt.

Abgesehen von Gewaltexzessen: Gehört die gegenseitige Abgrenzung und Abneigung nicht zum Fußball?

Solange alles mit Humor begangen wird, finde ich das klasse: wenn ausbaldowerte Choreographien gezeigt werden, in denen man den Gegner auf den Arm nimmt, wenn Lieder gesungen werden, die eine Reaktion erfordern. Ich mag diese Sprechchöre. Wenn die anderen singen: „Ihr seid nur ein Karnevalsverein“, dann singen unsere zurück: „Wir sind nur ein Karnevalsverein.“ Sobald aber der Humor flötengeht, ist das nichts mehr für mich. Am liebsten mag ich das Lied von den „Spetzebözzje“, den Spitzenhöschen, an denen man sich nicht fummeln lässt. Beim 1. FC Köln gehört die Selbstironie zum Standardprogramm. Auch wenn die Fans singen: „Erst steigen wir ab, dann steigen wir auf, dann steigen wir wieder ab, und dann
steigen wir wieder auf. Das finden wir lustig, weil wir bescheuert sind.“ Es gibt so viele humorvolle Sachen, die von der Südkurve ausgehen. Selbst wenn sie hart sind wie vor ein paar Jahren, als FC-Fans die Vereinsfahne von Borussia Mönchengladbach geklaut haben und in unserer Südkurve gesungen haben: „Wir wollen die Fahne sehen.“ Daraufhin kam von den Gladbachern brüllender Protest. Und nach einer gewissen Zeit kam dann: „Ihr könnt die Fahne sehen.“ Dann wurde die Fahne in der Südkurve runtergerollt, und genau währenddessen war so viel los im Stadion, dass der FC ein Tor geschossen und letztlich 1:o gewonnen hat. Das hat ein bisschen was von Asterix und dem kleinen gallischen Dorf und seinen wahnsinnigen Einwohnern. Mir wäre daran gelegen, wenn man das ganze Verhältnis deeskalieren könnte. Es wäre an der Zeit, zu verstehen, dass man Spaß vertragen muss und sich nicht gegeneinander aufhetzen lässt. Egal, ob es gegen Gladbach geht oder Düsseldorf. Und über den Begriff Vizekusen kann
ich kaum noch lachen. Der ist schal geworden. Das wird ja gerade ins Positive umgedeutet. Nach dem Motto: Bayer als Tabellenerster der Liga hinter dem übermächtigen FC Bayern. Wir haben einen Fahnenmast vor unserem Haus stehen. In der Regel hängt keine Fahne dran. Aber als Bayer Leverkusen im Jahr 2000 entgegen aller Erwartung in Unterhaching verloren und dadurch auf den letzten Metern die Meisterschaft vergeigt hat, bin ich nach draußen gegangen und habe die bayerische Landesflagge gehisst.

Gab es keine Proteste aus der rheinischen Nachbarschaft?

Wenn sich in Köln der Platzwart einen Fuß verknackst, interessiert das im Rheinland mehr, als wenn sich ein Leverkusener Mittelstürmer das Bein bricht.

Was haben Sie empfunden, als Sie nach Ihrem Schlaganfall sahen, dass die FC-Fans im Stadion allerbeste Genesungswünsche übermittelten?

Ich muss nur dran denken, dann werden meine Augen feucht. Das war ein unglaublicher Moment. Ich liege im Krankenhaus auf der Strokeunit, und alle haben sich bemüht, weil sie wussten, dass ich den FC im Fernsehen sehen will. Als das Spiel lief, dachte ich, was ist denn da hinter dem Tor? Da hing das Riesentransparent: „Weed flock widder jesund, Wolfgang!“ Ich habe mich letztens bei dem Kerl bedankt, dessen Idee das war.

Fußball ist also mehr als Sport, er ist Lebenselixier?

Ja, mir würde etwas fehlen. Ich hasse die Winterpause und die Sommerpause. An den ersten spielfreien Wochenenden laufe ich wie Falschgeld durch die Gegend. Während der Saison, selbst wenn der FC nicht spielt, sitze ich zu Hause auf dem Sofa und gucke mir immer die Bundesligakonferenz an. Wenn es langweilige Spiele sind, klimpere ich ein bisschen auf der Gitarre, und meistens fällt mir auch etwas ein, weil ich nicht groß übers Komponieren nachdenke. Ich kann mich an der Ästhetik des Fußballspiels erfreuen. Andere Leute gehen dafür ins Ballett.

Was ist für Sie das Ästhetische: schöne Tore, tolle Dribblings?

Mit welcher Leichtigkeit Robben und Ribery miteinander funktionieren, da denkst du, das kann doch gar nicht sein! Die machen zum zehntausendsten Mal denselben Angriff, und trotzdem lassen sich alle austanzen. Schön ist auch, wenn Freistöße um eine Mauer gezirkelt werden, oder wie einstudierte Spielzüge verlaufen, die du dir nicht vorstellen kannst. Ich freue mich, wenn Klopp gewinnt, ich freue mich auch, wenn Schweini gewinnt. Das sind großartige Typen, die ich sympathisch finde. Fußball funktioniert doch wie Rock ’n‘ Roll. Auch Rock ’n‘ Roll ist Mannschaftssport, und Vorhersehbarkeit ist auch immer schlecht. Wenn jemand denkt, okay, jetzt kommt gleich ein Chuck-Berry-Riff, und es kommt dann wirklich – langweilig!

Ist Fußball manchmal nicht auch vorhersehbar wie ein Popsong?

Fußball wie Rock ’n‘ Roll dürfen nie ohne Leidenschaft betrieben werden. Ansonsten ist es mit Ach und Krach noch Pop. Joschka Fischer hat einmal den schönen Satz gesagt, dass er der letzte Rock ’n‘ Roller im Politikbetrieb gewesen sei, nach ihm gebe es nur noch Playback.

Wie verbinden Sie den Rock ’n‘ Roll mit der Leidenschaft für den l. FC Köln, wenn Sie mit BAP auf Tournee gehen?

Wir versuchen, unsere Konzerttermine nach dem Fußball auszurichten. Das ist schwieriger geworden. Anders als früher weiß man ja nicht mehr lange im Voraus, an welchem Tag der FC spielt. Nun richten wir unseren Tourplan an der Wahrscheinlichkeit aus, nach der gespielt wird. Länderspieltermine und die komplette WM haben wir auf unserer Tourplanung fast draußen gelassen. Nur einmal haben wir nicht aufgepasst, denn wir spielen am 30. Juni und 1. Juli, wenn die ersten beiden der WM-Gruppen G und H im Achtelfinale aufeinandertreffen, zwei Zusatzkonzerte im Kölner Musical Dome. Mit einem deutschen Spiel werden wir also kollidieren, das Konzert ist aber schon fast ausverkauft. Darum werden wir versuchen, um sieben Uhr anzufangen, damit man um 22 Uhr das entsprechende Spiel gucken kann. Und wenn das alles nicht funktioniert, gibt es immer noch den Service für mich auf der Bühne. Da steht neben dem Monitormischpult einer, der eine Papptafel bereithält und sie mir hinhält, sobald sich etwas am Spielstand ändert.

Wirkt sich ein schlechtes Zwischenergebnis des 1. FC Köln auf das Konzert aus?

Ich bemühe mich, dass es nicht passiert. Ich habe aber schon lustige und schlimme Sachen erlebt. Einmal hat einer nicht aufpasst, welches Stück wir gerade gespielt haben, und ein Tor für den FC hoch gehalten, aber wir spielen gerade „Kristallnaach“, und da kann ich nun wirklich nicht jubeln, da muss ich cool bleiben. 1991, als wir das Pokalendspiel gegen Bremen verloren haben, mussten wir in Leipzig als Headliner bei einem großen Open Air auftreten. Unmittelbar nach Abpfiff auf die Bühne, das war überhaupt nicht gut, aber das Publikum hat es nicht bemerkt.

Einfacher wäre es für Sie, wenn der FC aufsteigen würde: Ein Erstliga-Wochenende hat nur drei verschiedene Spieltage, in der zweiten Liga gibt es zusätzlich den Montag.

Wenn der FC mir diesen Gefallen tun könnte … Der Aufstieg würde auf jeden Fall unsere Planung erleichtern.

Das Gespräch führte Thomas Klemm.