Die Fanmeilen, auf denen sich während der Fußball-Weltmeisterschaft des vergan genen Sommers Hundertausende tummelten, waren auch fabelhafte Flirtarenen - und damit naturgemäß verantwortlich für allerlei Liebesanfälle und Lustemphasen.
Nun zeigen sich, nicht ganz unerwartet, die Folgen – und zwar selbst im nordhessischen Kassel, das in Normalzeiten fußballerisch eher ein Notstandsgebiet ist, zudem nicht eben bekannt für erotische Enthemmungen. In Kassel aber sind nun, acht Monate nach Beginn der WM und sieben nach deren Ende, deutliche Zeichen für einen kurz bevorstehenden Babyboom zu erkennen. Seine Geburtsvorbereitungskurse seien übervoll, ließ sich am Wochenende Ralf Küche, der Leiter einer dortigen Klinik, freudig vernehmen, er rechne allernächst mit einem „Baby-Plus“ von zehn bis fünfzehn Prozent. Und warum sollte, was sich für Kassel hochrech nen lässt, nicht gleich für das ganze Land gelten? Der Mediziner Küche hat für das fruchtbare Geschehen eine handfeste Er klärung parat: „Die Erregung im Spiel hat bei vielen offenbar noch angehalten und wurde nach dem Abpfiff anderweitig genutzt.“
Dem sei vorderhand nicht widersprochen. Im Gegenteil, man kennt das Phänomen auch von anderen großen Fußballnationen. 1996 erreichte England bei der Europameisterschaft im eigenen Land das Halbfinale durch einen, man kann es kaum glauben, Sieg im Elfmeterschießen gegen Spanien – um dort dann, nur zu verständlich, ebenfalls im Elfmeterduell gegen Deutschland auszuscheiden. Allein, die vorherigen Erfolge des Teams reichten aus, um, so damals die psychologische Abteilung der Universität Manches ter, „Glücksgefühle“ zu entfachen, deren „Motivation und Kreativität“ sich positiv „auf das Sexleben“ auswirkten. Ergebnis auch hier: Babyboom, neun Monate danach – und das noch ganz ohne Fanmeilen. Ein sehr ähnlicher Befund im Frankreich des Jahres 1998: Das Land wurde Weltmeister und als Weltmeister bevölkerungsreicher. Klarer Fall mithin: Der Fußball braucht immer Nachwuchs und er zeugt ihn deshalb am besten gleich selbst. Franz Beckenbauers Schlusswort zur WM 2006 – „So stellt sich der liebe Gott die Welt vor“ – entfaltet vor diesem Hinter grund erst seinen ganzen und wahren Sinn.
Anders übrigens sieht es mit dem vermeintlichen Babyboom nach länger währenden Stromausfällen aus. Man erinnert sich an die berühmte Urszene vom 9. November 1965 in New York: Straßen und Häuser dunkel. Neun Monate später meldete die „New York Times“ dann einen Geburtenrekord. Diese Geschichte wird seither nach jedem Stromausfall erzählt – zuletzt nach jenem im Münsterland des Winters 2005. Dem statistischen Befund hat die New Yorker Glücksbotschaft dann nicht standgehalten. Woraus zu entnehmen: Fußball ist der bessere Strom.