G e d i c h t e

= Gotthold Ephraim Lessing: Eine Gesundheit

Trinket, Brüder, laßt uns trinken bis wir berauscht zu Boden sinken; doch bittet Gott den Herren, daß Könige nicht trinken.

Denn da sie unberauscht die halbe Welt zerstören, was würden sie nicht tun, wenn sie betrunken wären?

= Kurt Tucholsky: Ideal und Wirklichkeit

In stiller Nacht und monogamen Betten denkst du dir aus, was dir am Leben fehlt. Die Nerven knistern. Wenn wir das doch hätten, was uns, weil es nicht da ist, leise quält. Du präparierst dir im Gedankengange das, was du willst – und nachher kriegst dus nie…. Man möchte immer eine große Lange, und dann bekommt man eine kleine Dicke – C`est la vie – !

Sie muß sich wie ein Kugellager in ihren Hüften biegen, groß und blond. Ein Pfund zu wenig – und sie wäre mager, wer je in diesen Haaren sich gesonnt…. Nachher erliegst du dem verfluchten Hange, der Eile und der Phantasie. Man möchte immer eine große Lange, und dann bekommt man eine kleine Dicke – Ssälawih – !

Man möchte eine helle Pfeife kaufen und kauft die dunkle – andere sind nicht da. Man möchte jeden Morgen dauerlaufen und tut es nicht. Beinah … beinah Wir dachten unter kaiserlichem Zwange an eine Republik…. und nun ists die! Man möchte immer eine große Lange, und dann bekommt man eine kleine Dicke – Ssälawih – !

= Hans Magnus Enzensberger: Eine Altersfrage

Die alte Dame mit dem Krückstock, was hat sie alles über sich ergehen lassen! Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Brandbomben, Rentenformeln, „Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung“ (hört sich schlimmer an als es ist, hat der Notar gesagt, als er den Zwicker abnahm), und noch dazu die vielen Kindstaufen, Rohrbrüche und Beerdigungen.

Wie sie uns zuzwinkert aus ihren kornblumenblauen Augen! Ihr entzückendes Lächeln, wo es nur herkommt? Das weiß der Himmel.

Mascha Kaléko: Sozusagen grundlos vergnügt

Ich freu mich, daß am Himmel Wolken ziehen und daß es regnet, hagelt, friert und schneit. Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit, wenn Heckenrosen und Holunder blühen. – Daß Amseln flöten und daß Immen summen, daß Mücken stechen und daß Brummer brummen. Daß rote Luftballons ins Blaue steigen. Daß Spatzen schwatzen. Und daß Fische schweigen.

Ich freu mich, daß der Mond am Himmel steht und daß die Sonne täglich neu aufgeht. Daß Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter, gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter, wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn. Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn! Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn. Ich freue mich vor allem, daß ich bin.

In mir ist alles aufgeräumt und heiter: Die Diele blitzt, das Feuer ist geschürt. An solchen Tagen erklettert man die Leiter, die von der Erde in den Himmel führt. Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben – Weil er sich selber liebt – den Nächsten lieben.

Wolf Biermann: Und als wir ans Ufer kamen

Und als wir ans Ufer kamen und saßen noch lange ihm Kahn – da war es, daß wir den Himmel am schönsten im Wasser sahn. Und durch den Birnbaum flogen paar Fischlein. Das Flugzeug schwamm quer durch den See und zerschellte, sachte am Weidenstamm – am Weidenstamm.

Was wird bloß aus unsern Träumen in diesem zerrissnen Land – die Wunden wollen nicht zugehn unter dem Dreckverband. Und was wird mit unsern Freunden und was noch aus dir, aus mir – ich möchte am liebsten weg sein und bleibe am liebsten hier – am liebsten hier.