G e d i c h t e

Mascha Kaléko: Sozusagen grundlos vergnügt

Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen und dass es regnet, hagelt, friert und schneit. Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit, wenn Heckenrosen und Holunder blühen. Daß Amseln flöten und daß Immen summen, dass Mücken stechen und dass Brummer brummen. Daß rote Luftballons ins Blaue steigen. Daß Spatzen schwatzen. Und dass Fische schweigen.

Ich freu mich, dass der Mond am Himmel steht und dass die Sonne täglich neu aufgeht. Dass Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter, gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter, wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn. Ich kann nicht alles mit dem Kopf verstehn! Ich freu mich. Das ist des Lebens Sinn. Ich freu mich vor allem, dass ich bin.

In mir ist alles aufgeräumt und heiter: Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt. An solchen Tagen erklettert man die Leiter, die von der Erde in den Himmel führt. Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben, – Weil er sich selber liebt – den Nächsten lieben. Ich freue mich, dass ich mich an das Schöne und an das Wunder niemals ganz gewöhne. Dass alles so erstaunlich bleibt, und neu! Ich freu mich, dass ich ….. Dass ich mich freu.

Mascha Kaléko: Chor der Kriegerwaisen

Kind sein, das haben wir niemals gekannt. Uns sang nur der Hunger in Schlaf… Weil Vater im Schützengraben stand, zu fallen für Kaiser und Vaterland, wenns grade ihn mal traf.

Und kam eines Tages ein Telegramm, wenn der Vater schon lange nicht geschrieben – dann zog sich die Mutter das Schwaze an, und wir waren kriegshinterblieben.

Wir lernten Geschichte und Revolution am eigenen Leib erfahren. Wir schwitzten für Gelder der Inflation, die später Klosettpapier waren.

Wir spüren noch heute auf Schritt und Tritt jener „herrlichen Zeiten“ Vermächtnis. – Und spielt ihr Soldaten, wir machen nicht mit; denn wir haben ein gutes Gedächtnis.

J.W. Goethe: Mayfest

Wie herrlich leuchtet mir die Natur! Wie glänzt die Sonne! Wie lacht die Flur!

Es dringen Blüten aus jedem Zweig, und tausend Stimmen aus dem Gesträuch.

Und Freud und Wonne aus jeder Brust. O Erd o Sonne o Glück o Lust!

O Lieb` o Liebe, so golden schön, wie Morgenwolken auf jenen Höhn.

Du segnest herrlich das frische Feld, im Blütendampfe die volle Welt.

O Mädchen Mädchen, wie lieb` ich dich! Wie blinkt dein Auge! Wie liebst du mich!

So liebt die Lerche Gesang und Luft, und Morgenblumen den Himmels Duft.

Wie ich dich liebe mit warmen Blut, die du mir Jugend und Freud und Muth

Zu neuen Liedern und Tänzen giebst! Sey ewig glücklich wie du mich liebst!

J.W.Goethe: Gefunden

Ich ging im Walde so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn.

Im Schatten sah` ich ein Blümchen stehn, wie Sterne leuchtend, wie Äuglein schön.

Ich wollt es brechen, da sagt es fein: Soll ich zum Welken gebrochen sein?

Ich grubs mit allen den Würzlein aus, zum Garten trug ichs am hübschen Haus.

Und pflanzt es wieder am stillen Ort; nun zweigt es immer und blüht so fort.