Gedichte

= Eva Strittmatter: Der Amsel

Wie sehr bewundere ich die nach Regeln gebauten Gedichte. Das Metrum bezaubert mich, und die richtig gesetzten Gewichte machen mich immer versucht, die Zeilen nachzuzählen, und ich denke: Ei verflucht, musste der Dichter sich quälen.

Wie kann er das leisten: zu fühlen und die Gedichte so einzuteilen, dass sie das Sonett nicht zerwühlen und heilen in vierzehn Zeilen.

Zum Teufel mit den klassischen Formen, wenn der Junigrünwind weht und der Amsel zersingt mir die schönsten Normen, weil er nichts vom Singen versteht !

Er pfeift und eifert vor Sonnentollheit, weil er grad pflichtlos ist. Noch muss er nicht die Zweitbrut füttern, die bald sein Lied auffrißt.

Wie heiter und herzlich ist dieser Morgen ! Und ich bin gesättigt von Licht. Und soll ich mich da um Sonette sorgen ? Ich mach einfach ein Gedicht.

Rainer Kunze

Du weißt zur Stunde sie an fernem Ort. Mit dem Verstand begreifst du ihre Ferne. Es liegen zwischen dir und ihr ein Himmel Sonne und ein Himmel Sterne.

Und doch trittst du ans Fenster immerfort.

Hans-Ulrich Treichel: Schreiben Sie eigentlich noch Gedichte ?

Wenn mir was einfällt – Wenn mir was hinfällt im Dunkeln wenn ich allein bin wenn ich sehr allein bin – für die Katze. Auf Reisen wenn ich Heimweh habe – zu Hause wenn ich Heimweh habe – aus Spaß an der Freud – nur für meine Mutter – Um Himmels willen – nur wenn ich will – nur wenn es sein muß – sonst nie.

Theodor Kramer: Requiem für einen Faschisten

Du warst in allem einer ihrer Besten, erschrocken fühl ich heut mich die verwandt; du schwelgtest gerne bei den gleichen Festen und zogst wie ich oft wochenlang durchs Land. Es füllte dich wie mich der gleiche Ekel vor dem Geklügel ohne innern Drang, vor jedem Wortgekletzel und Gehäkel; nichts galt dir als der schöne Überschwang.

So zog es dich zu ihnen, die marschierten; wer weiß da, wann du auf dem Marsch ins Nichts gewahr der Zeichen wurdest, die sie zierten ? Du liegst gefällt am Tage des Gerichts. Ich hätte dich mit eigner Hand erschlagen; doch unser keiner hatte die Geduld, in deiner Sprache dir den Weg zu sagen: dein Tod ist unsre, ist auch meine Schuld.

Ich setz für dich zu Abend diese Zeilen, da schrill die Grille ihre Beine reibt, wie du es liebstest, und der Seim im geilen Faulbaum im Kreis die schwarzen Käfer treibt. Daß wir des Tods und Ursprungs nicht vergessen, wann jeder Brot hat und zum Brot auch Wein, vom Überschwang zu singen wie besessen, soll um dich, Bruder, meine Klage sein.

B. Brecht: Mutter Beimlein

Mutter Beimlein hat ein Holzbein; damit kann sie ganz gut gehn. Und mit `nem Schuh, und wenn wir brav sind dürfen wir das Holzbein sehen.

Im Bein, da ist ein Nagel und da hängt sie den Hausschlüssel dran, dass sie ihn, wenn sie vom Wirtshaus heimkommt, auch im Dunkeln finden kann.

Wenn Mutter Beimlein auf den Strich geht und sie bringt `nen Freier nach Haus, dreht sie das Elektrische, bevor sie aufschliesst, auf dem Treppenabsatz aus.