Gedichte

Die alte Waschfrau (Autor ?)

Du siehst geschäftig bei dem Linnen die Alte dort in weißem Haar, die rüstigste der Wäscherinnen im sechsundsiebzigsten Jahr. So hat sie stets mit sauerm Schweiß ihr Brot in Ehr und Zucht gegessen, und ausgefüllt mit treuem Fleiß den Kreis, den Gott ihr zugemessen.

Sie hat in ihren jungen Tagen geliebt, gehofft und sich vermählt; sie hat des Weibes Los getragen, die Sorgen haben nicht gefehlt; sie hat den kranken Mann gepflegt; sie hat drei Kinder ihm geboren; sie hat ihn in das Grab gelegt und Glaub und Hoffnung nicht verloren.

Da galt´s die Kinder zu ernähren; sie griff es an mir heiterm Mut, sie zog sie auf in Zucht und Ehren, der Fleiß, die Ordnung sind ihr Gut. Zu suchen ihren Unterhalt entließ sie segnend ihre Lieben, so stand sie nun allein und alt, ihr war ihr heitrer Mut geblieben.

Sie hat gespart und hat gesonnen und Flachs gekauft und nachts gewacht, den Flachs zu feinem Garn gesponnen, das Garn dem Weber hingebracht; der hat´s gewebt zu Leinewand; die Schere brauchte sie, die Nadel, und nähte sich mit eigener Hand ihr Sterbehemde sonder Tadel.

Ihr Hemd, ihr Sterbehemd, sie schätzt es, verwahrts im Schrein am Ehrenplatz; es ist ihr Erstes und ihr Letztes, ihr Kleinod, ihr ersparter Schatz. Sie legt es an, des Herren Wort am Sonntag früh sich einzuprägen, dann legt sie´s wohlgefällig fort, bis sie darin zur Ruhe sie legen.

Und ich, an meinem Abend, wollte, ich hätte diesem Weibe gleich, erfüllt, was ich erfüllen sollte in meinen Grenzen und Bereich; ich wollt, ich hätte so gewusst am Kelch des Lebens mich zu laben, und könnt am Ende gleiche Lust an meinem Sterbehemde haben.

Ludwig Uhland – Frühlingsglaube

Die linden Lüfte sind erwacht, sie säuseln und weben Tag und Nacht, sie schaffen an allen Enden. O frischer Duft, o neuer Klang! Nun, armes Herz, sei nicht bang! Nun muss sich alles, alles wenden.

Die Welt wird schöner mit jedem Tag, man weiß nicht, was noch werden mag, das Blühen will nicht enden. Es blüht das fernste, tiefste Tal: Nun armes Herz, vergiss die Qual! Nun muss sich alles, alles wenden.

Franz Werfel – Elternlied

Kinder laufen fort. Lang her kann´s noch gar nicht sein, kamen sie zur Tür herein, saßen zwistiglich vereint alle um den Tisch.

Kinder laufen fort. Und es ist schon lange her, schlechtes Zeugnis kommt nicht mehr. Stunden Ärgers, Stunden schwer: Scharlach, Diphterie!

Kinder laufen fort. Söhne hängen Weibern an. Töchter haben ihren Mann. Briefe kommen, dann und wann, nur auf einen Sprung.

Kinder laufen fort. Etwas nehmen sie doch mit. Wir sind ärmer, sie sind quitt, und die Uhr geht Schritt für Schritt um den leeren Tisch.

Kurt Tucholsky – Park Monceau

Hier ist es hübsch. Hier kann ich ruhig träumen. Hier bin ich Mensch – und nicht nur Zivilist. Hier darf ich links gehn. Unter grünen Bäumen sagt keine Tafel, was verboten ist.

Ein dicker Kullerball liegt auf dem Rasen. Ein Vogel zupft an einem hellen Blatt. Ein kleiner Junge gräbt sich in der Nasen und freut sich, wenn er was gefunden hat.

Es prüfen vier Amerikanerinnen, ob Cook auch recht hat und hier auch Bäume stehn. Paris von außen und Paris von innen: sie sehen nichts und müssen alles sehn.

Die Kinder lärmen auf den bunten Steinen. Die Sonne scheint und glitzert auf ein Haus. Ich sitze still und lasse mich bescheinen und ruh von meinem Vaterlande aus.

Heinrich Heine – Leise zieht durch mein Gemüt

Leise zieht durch mein Gemüt liebliches Geläute. Klinge, kleines Frühlingslied, kling hinaus ins Weite.

Kling hinaus bis an das Haus, wo die Blumen sprießen, wenn du eine Rose schaust, sag, ich lass sie grüßen.

Peter Hacks – Zum ersten Mal

Ich mag einmal nicht klassenkämpfen. Das soll man im November tun. Ich will zum Lied die Leier dämpfen und waldwärts ziehn auf Flügelschuhn.

Da wohnt der Mai auf einer Wiese. Und Birken stehen. Und der Wind ist lau, als wenn er gar nicht bliese. Und jeder Käfer ist mein Kind.

Doch will mich wer davongehn heißen, weil er der Eigentümer sei, dann werd ich den mit Hölzern schmeißen zum ersten Mai.