Gedichte

= Heinrich Heine

Das Glück ist eine leichte Dirne, und weilt nicht gern am selben Ort; sie streicht das Haar dir von der Stirne und küßt dich rasch und flattert fort.

Frau Unglück hat im Gegenteile dich liebesfest ans Herz gedrückt; sie sagt, sie habe keine Eile, setzt sich zu dir ans Bett und strickt.

= Theodor Kramer: Wer läutet draußen an der Tür?

Wer läutet draußen an der Tür, kaum daß es sich erhellt? Ich geh schon, Schatz. Der Bub hat nur die Semmeln hingestellt.

Wer leutet draußen an der Tür? Bleib nur; ich geh, mein Kind. Es war ein Mann, der fragte an beim Nachbar, wer wir sind.

Wer leutet draußen an der Tür? Laß ruhig die Wanne voll. Die Post war da; der Brief ist nicht dabei, der kommen soll.

Wer leutet draußen an der Tür? Leg du die Betten aus. Der Hausbesorger war´s : wir solln am Ersten aus dem Haus.

Wer leutet draußen an der Tür? Die Fuchsien blühn so nah. Pack, Liebste, mir mein Waschzeug ein und wein nicht: sie sind da.

Carl Zuckmayer: Ein nie vorher gesehener Stern

Manchmal des Nachts, wenn ich die Öfen schürte, sah ich durchs Fenster, nah und weltenfern, so jäh, als ob mich eine Hand berührte, den nie vorher gesehenen Stern.

Er sprang und zuckte grün in kaltem Feuer – so groß war nie ein Licht, und kein Planet. Mein Blick war blind davon, und ungeheuer erschrak mein Herz, und fand nicht zum Gebet.

Hob dann die Lider ich, war er verschwunden. War es ein Zeichen? War´s ein Ruf des Herrn? Ich frage nicht. Doch hält mich tief gebunden der nie vorher gesehene Stern.

Hermann Löns: Der Wundermann

In Völksen wohnt ein Wundermann, der jede Krankheit heilen kann: Zahnweh und Friesel und den Mumps, die Schwindsucht und den Fuß des Klumps.

Er hat nicht Medizin studiert, hat nicht zum Doktor promoviert, mit einer Flasche Fliedertee kuriert er jedes Ach und Weh.

Kolik und Infaulentia, die Wassersucht, das Podagra, für Gallenstein, für Hüfteweh, für alles hilft der Fliedertee.

Das heißt, dem Wundermann hilft er, bisher war seine Börse leer, jetzt ist stets voll sein Portemonnaie, so sehr hilft dieser Fliedertee.

Für kalten Brand und dickes Blut ist Fliedertee vorzüglich gut, für Krätze, Krebs und auch für Gicht, bloß gegen Dummheit hilft er nicht.

Justinus Kerner: Ikarus

Mir träumt´, ich flög´ gar bange weit in die Welt hinaus, durch Straßburg durch alle Gassen bis vor Feinsliebchens Haus.

Feinsliebchen ist betrübet als ich so flieg und weint: Wer dich so fliegen lehrte, das ist der böse Feind.

Feinslieb, was hilft dir lügen, da du doch alles weißt: Wer mich so fliegen lehret, das ist der böse Geist.

Feinsliebchen weint und schreiet, daß ich am Schrei erwacht. Da lieg ich, ach! In Augsburg gefangen auf der Wacht.

Und morgen muß ich hangen; Feinsliebchen mich nicht mehr ruft, wohl morgen als ein Vogel schwank ich in freier Luft.