Gedichte

= Heinrich Heine: Vermächtnis

Nun mein Leben geht zu End`, mach ich mein Testament; christlich will ich drin bedenken meine Feinde mit Geschenken.

Diese würd`gen, tugendfesten Widersacher sollen erben all mein Siechtum und Verderben, meine sämtlichen Gebresten.

Ich vermach euch die Koliken, die den Bauch wie Zangen zwicken, Harnbeschwerden, die perfiden preußischen Hämorrhoiden.

Meine Krämpfe sollt ihr haben, Speichelfluß und Gliederzucken, Knochendarre in dem Rücken, lauter schöne Gottesgaben.

Codizill zu dem Vermächtnis: In Vergessenheit versenken soll der Herr eur Angedenken, er vertilge eu`r Gedächtnis.

= Andreas Gryphius: Betrachtung der Zeit

Mein sind die Jahre nicht die mir die Zeit genommen/ Mein sind die Jahre nicht, die etwa möchten kommen. Der Augenblick ist mein und nehm`ich den in acht, so ist er mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.

= Matthias Claudius „Die Sternseherin Lise“

Ich sehe oft um Mitternacht, wenn ich mein Werk getan und niemand mehr im Hause wacht, die Stern` am Himmel an.

Sie gehn da, hin und her zerstreut als Lämmer auf der Flur; in Rudeln auch, und aufgereiht wie Perlen an der Schnur.

Und funkeln alle weit und breit und funkeln rein und schön; ich seh`die große Herrlichkeit und kann mich satt nicht sehn……

Dann saget unterm Himmelszelt mein Herz mir in der Brust: „Es gibt was Bessers in der Welt als all ihr Schmerz und Lust.“

Ich werf mich auf mein Lager hin, und liege lange wach, und suche es in meinem Sinn: Und sehne mich danach.