Die Friedenspreisträgerin Aleida Assmann in einem Interview mit der WELT a.S.: „Die Tatsache der Judenvernichtung war nicht mehr zu leugnen und das Wissen war allseits präsent, aber am Anfang der EU stand der gemeinsame Pakt der Alliierten, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Am deutlichsten hat das nicht Adenauer sondern Churchill 1946 ausgesprochen: „Wenn Europa vor endlosem Unheil und endgültigem Untergang gerettet werden soll, müssen wir es auf einen Glauben an die europäische Familie und einen Akt des Vergessens aller Verbrechen und Irrtümer der Vergangenheit gründen.“
„Im nachhinein habe ich jetzt kapiert: Wo immer das Wort „Nation“ auftaucht, klingeln bei den Linken alle Alarmglocken, auch wenn es um nichts anderes als ein Demokratie-Museum geht. Man hält sich für kritisch, weil man den Begriff verteufelt und gar nicht mehr weiterfragt, worum es eigentlich geht.“
„Wir müssen eine Debatte um den Nationsbegriff führen. Wie verwandeln sich Nationen, wenn sie in den gemeinsamen Rahmen Europa eintreten? Welche Werte halten sie zusammen ? Ist es nur der Euro ? Wie entsteht ein Gefühl der Solidarität ? Was lässt sie gerade auseinanderbrechen ? Wodurch sind die Nationen z.Zt. am meisten gefährdet: die Panzer und die Hürden der Bürokratie ? Das allgemeine Desinteresse an diesem Projekt ? Das Vergessen der eigenen Geschichte ? Vielleicht ja auch durch eine einseitige Vorstellung von Nation, die mit diesem Begriff zugleich auch Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Zivilgesellschaft über Bord wirft.“
„Es ist symptomatisch für unsere Gesellschaft, dass viele Deutsche mit dem Begriff der Nation nichts anfangen können. Wenn wir Europa retten und stärken wollen, müssen wir dringend anfangen, über unser Verhältnis zur demokratischen Nation zu sprechen. Aufgrund unserer Geschichte haben es die Intellektuellen nicht vermocht, zu einem positiven Nationen-Begriff zurückzukehren, der mit unserer Verfassung, Gewaltenteilung, Menschenrechten und gerade auch mit kultureller Vielfalt verbunden ist; alles Dinge, die wir täglich genießen, ohne sie uns bewusst zu machen und wertzuschätzen – wie lange noch?“