Im Geiste Lessings zur Toleranz

Leserbriefe, die bereichern (aus der FAZ)

Zum Leserbrief von Julia Greve „Mit Klugheit“ in der FA.Z. vom 26. Februar mit Bezug auf Marco Stahlhut, „Die Illusion eines modernen Islam“ (FA.Z. vom 17. Februar): Leserin Greve greift die Resonanz auf, die Stahlhuts beeindruckender Beitrag gefunden hat, und sie kritisiert die von ihm vorgenommene Gleichsetzung von Islam und Islamismus. („Die Entwicklungen im globalen Islam gehen … deutlich in Richtung eines Siegeszuges des Islamismus …“) Während Stahlhut seine Feststellung aus Erkenntnissen trifft, die er in der Realität der islamischen Welt gewonnen hat, will Leserin Greve dem nur auf einer geistig-abstrakten Ebene unter Bezug auf Aufklärung und Liberalität begegnen. Beides verpflichte uns im Geiste Lessings zur Toleranz. Die Gleichsetzung von Islam und Islamismus verhindere jedoch Anwendung von Aufklärung im Diskurs. Deswegen richtet sie an die, welche Marco Stahlhut zustimmen, die Frage:„ Sind wir noch immer der Meinung, es gäbe eine berechtigte Hierarchie der Religionen?“

Diese Frage ist meines Erachtens nicht denen zu stellen, die Stahlhut beipflichten, sondern den Vertretern des Islams. Denn fernab von Aufklärung und Lessingschem Toleranzdenken versteht sich der Islam als die einzig wahre Religion in der Tradition Abrahams. Und Stahlhut zeigt nur, dass und wie diese Denkweise global rücksichtslos durchgesetzt wird: Juden, Christen und allgemein Menschen mit liberaler Lebensführung sind die Opfer. Wenn immer wieder gesagt wird, dass es ‚den Islam‘ gar nicht gebe, so muss man die Schlussfolgerung ziehen, dass jede Strömung im Islam, die sich auf dieselben Grundtexte (Koran, Scharia, Prophetenüberlieferung) bezieht, eben Islam ist.

Wer das in Frage stellt, behauptet implizit dann eben doch, dass es ‚den Islam‘ gibt. Den Islamismus gegen den Islam am Kriterium der Gewaltanwendung abzugrenzen, berührt die in den islamischen Schriften und Tradition vertretenen Inhalte mit ihren oft aggressiven Aussagen gegen alle Ungläubigen überhaupt nicht. Der Koran ist Allahs unmittelbare Präsenz im geschriebenen Wort und daher unveränderbar. Und als Kundgabe aus göttlicher Transzendenz ist er absolute und verbindliche Wahrheit, die sich in Handlungsanweisungen konkretisiert. Wenn sich die konservativen Islamverbände in Deutschland (einschließlich der von der Türkei abhängigen Ditib) weigern, bei der Einrichtung einer islamischen Theologie an der Humboldt-Universität in Berlin zum Beispiel den Liberal-Islamischen Bund im Sinne von Toleranz gleichwertig einzubeziehen, so sagen sie damit nichts anderes als: „Nur wir sind der richtige Islam.“

Dass die deutsche Politik hier mitspielt und gerade die liberalen Muslime diskriminiert im Regen stehen
lässt, auf die sich dieselbe Politik sonst besonders gern als die integrierten Muslime bezieht, ist wahrlich kein Ruhmesblatt. Das Verhalten der Islamverbände bekräftigt, dass es für sie im Islam eine der Aufklärung entsprechende Toleranz (selbst gegenüber einer anderen islamischen Denomination) auch in Deutschland nicht gibt. Das gründet gleichermaßen in der unverfügbaren Wahrheit des Korans. Dass Juden und Christen im Sinne der Lessingschen Ringparabel jeweils innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft ebenfalls davon überzeugt sind, den einzig richtigen Glauben zu besitzen, und dass Judentum und Christentum im Sinn von Toleranz als gleichwertig neben den Islam zu stellen sind, ist für den Islam nicht denkbar. Er ist nicht in der Lage, gegenüber Juden und Christen in einem islamischen Land dieselbe Toleranz zu üben, die er selbst hier bei uns erfährt. In unserem Land aber wird der (konservative) Islam den Geist ebendieser Toleranz, die sich auch in der grundgesetzlichen Religionsfreiheit widerspiegelt, für seine Ziele gerne nutzen; in der Tiefe verstehen oder gar akzeptieren wird er ihn nie.

Mit liberaler Aufklärungsromantik kann man den Diskurs mit dem Islam in Deutschland nicht führen. Um es mit Marco Stahlhut zu sagen: Wann löst sich unsere Politik von der „Fiktion …, der gegenwärtige Islam wäre eine Religion wie jede andere?“

HEINRICH SCHÜTZ, FRANKFURT AM MAIN