„Wenn wir aber zur Freiheit fähig sind, müssen wir imstande sein, gemäß einer anderen Art von Gesetz zu handeln, einem Gesetz, das sich von den Gesetzen der Physik unterscheidet. Kant meint, jede Handlung sei durch Gesetze der einen oder anderen Art gelenkt. Und wenn unsere Handlungen allein von den Gesetzen der Physik gesteuert würden, dann würden wir uns nicht von einer Billiardkugel unterscheiden. Wenn wir aber zur Freiheit fähig sind, müssen wir imstande sein, nicht nach einem uns gegebenen oder auferlegten Gesetz zu handeln, sondern gemäß einem Gesetz, das wir uns selber geben. Doch woher könnte ein solches Gesetz kommen ?
Kants Antwort: Aus der Vernunft. Wir sind nicht bloß fühlende Wesen, beherrscht von der Lust oder Unlust unserer Sinne; wir sind auch rationale, zur Vernunft fähige Wesen. Wenn mein Wille von der Vernunft bestimmt wird, dann erhält er die Macht, unabhängig vom Diktat der Natur oder der Neigung zu entscheiden. (Anzumerken ist, dass Kant nicht behauptet, mein Wille sei immer von der Vernunft gelenkt; er sagt nur, dass mein Wille, sofern ich fähig bin, frei und gemäß einem Gesetz zu handeln, von der Vernunft geleitet wird.)
Oft glauben wir, Freiheit bedeute, dass wir tun können, was wir wollen, und dass wir unsere Wünsche ungehindert verfolgen können. Doch Kant stellt diese Anschauung der Freiheit in Frage: Wenn man diese Wünsche anfangs gar nicht frei gewählt hat, wie kann man dann glauben, man sei frei, wenn man ihnen nachgeht ?
Wenn mein Wille fremdbestimmt ist, wird er von etwas gesteuert, das außerhalb meiner Selbst liegt. Das aber wirft die schwierige Frage auf: Wenn Freiheit mehr bedeutet, als meinen Wünschen und Neigungen zu folgen, wie ist sie dann überhaupt möglich ? Ist nicht alles, was ich mache, durch Begehren oder Neigungen begründet, die auf äußere Einflüsse zurückgehen ?
Die Antwort liegt durchaus nicht auf der Hand. Kant merkt an, dass jedes Ding in der Natur notwendigerweise bestimmten Gesetzen gehorcht – etwa den Gesetzen der Physik und dem Gesetz von Ursache und Wirkung. Das schließt den Menschen ein. Schließlich sind wir Wesen der Natur. Menschen sind von den Naturgesetzen nicht ausgenommen.“ (Fundstück)