Kapitalismus – ein gewaltiges Ungetüm

Die undemokratische und totalitäre Umgestaltung der Gesellschaft durch Stalin, Hitler und Mao führte in den Gulag, in die Gaskammern und zu den Schrecken der Kulturrevolution.

Ein langfristig funktionierender Kapitalismus kann nur in einem Rechtsstaat gedeihen, wo die Regeln vorgegeben und kontrolliert  und wo Verstöße sanktioniert werden; als Beispiel sei hier das Steuerrecht und das Kartellrecht erwähnt. Ob eine Demokratie auf dem Niveau Westeuropas Voraussetzung für einen funktionierenden Kapitalismus ist – darüber sind die kompetenten Fachleute unterschiedlicher Meinung.

Kann China seinen erfolgreichen Staatskapitalismus auf lange Sicht aufrecht erhalten oder ist die Einführung der Demokratie dafür die Voraussetzung? Es gilt auch, zwischen den unterschiedlichen Kapitalismus-Systemen zu unterscheiden, nämlich zwischen dem Turbo-Kapitalismus der USA, dem Staatskapitalismus a là China und der Sozialen Marktwirtschaft, wie sie seit einigen Jahrzehnten in Deutschland praktiziert wird.

Kein vernünftiger Mensch wird bestreiten, dass die Soziale Marktwirtschaft das gerechteste und humanste wirtschaftliche System auf der Welt darstellt. Aber dennoch muss immer wieder gefragt werden, ist sie auch gerecht genug? Geht es nicht noch gerechter? Muss Hartz4 deutlich erhöht oder abgeschafft werden?
Ist die Besteuerung der Einkommen gerecht? Sind 45 Prozent Steuer für hohe Einkommen gerecht? Ab wann beginnen „hohe“ Einkommen? Soll der Staat die Einkommen von Unternehmern, Managern, Fußballern und Filmstars limitieren, wie mal wieder von einer großen Zeitung aus München in die Diskussion gebracht wird? Könnte es sein, dass die Einnahmen des Staates dadurch fallen,
weil manche Topverdiener das als ungerecht empfinden und in die Schweiz umziehen?

(In diesem Zusammenhang würde ich es als „gerechter“ empfinden, wenn die Medien Nettoeinkommen in die Debatte werfen: Der viel gescholtene Bankchef NN verdient brutto zehn Millionen, aber netto etwas über fünf Millionen, mit der Differenz von fast fünf Millionen wird auch der Sozialstaat fainanziert)

Ist eine Erbschaftssteuer gerecht? Ist es gerecht, aus versteuertem Einkommen angespartes Vermögen nochmal zu bestaeuern? Ab welchem Vermögen und in welcher Höhe sollen Erbschaftssteuern
erhoben werden? Soll die Erbschaftssteuer einhundert Prozent betragen, wie jetzt von Ökonomen und Philosophen vorgeschlagen?

Soziale Marktwirtschaft bedeutet auch, daß denen geholfen wird, die wegen eigener Versäumnisse oder aus eigenem Verschulden arbeitslos sind.

Aber: Kann man überhaupt von eigener Schuld sprechen? Was macht uns zu dem, was wir oder wer wir sind? Die ererbten Gene? Die frühen Einflüsse in den Tagen, Monaten und Jahren nach der Geburt? Die mehr oder weniger friedlichen Verhältnisse im Elternhaus? Frühe Gewalterfahrungen? Oder Ausgrenzungen? Die Überversorgung und Verzärtelung durch die Megamutter?

Weder für die Gene noch für die Umfeld-Einflüsse ist der Mensch verantwortlich; man kann also der Auffassung sein, daß der Langzeitarbeitslose, der den Willen und die Disziplin für einen Job nicht aufbringt, moralisch unschuldig an seinem Dilemma ist. Für diese Menschen und viele andere (Alleinerziehende, arme Rentner, Kranke, Behinderte) brauchen wir den Sozialstaat und es ist gut, daß der Staat nicht versucht, moralische Kategorien zu schaffen.

„Der Kapitalismus ist alternativlos und das die Freiheit des Einzelnen am wenigsten gefährdende System. Der Kapitalismus ist ein gewaltiges Ungetüm; in seiner ungebändigten Form schafft er ein Ausmass an sozialer Ungleichheit die zwangsläufig mit Gefühlen der Erniedrigung und kollektivem Vertrauensverlust einhergeht. Deshalb muss dieser anarchische Kapitalismus durch gezielte staatliche Eingriffe gezähmt werden.“ (Tony Judt)

Die folgende Erkenntnis von Arthur Young aus dem Jahr 1787 gehört in die Grundsemester von Politik, Wirtschaft u. Philosophie: „Setze jemanden in den sicheren Besitz von blankem Fels, und er wird den Felsen zu einem Garten verwandeln; verpachte ihm auf neun Jahre einen Garten, und er wird ihn zu einer Wüste umwandeln. Die Zauberkraft des Besitzes macht Sand zu Gold.“

Wie sagte Winston Churchill treffend: „Dem Kapitalismus wohnt ein Laster inne: die ungleichmäßige Verteilung der Güter. Dem Sozialismus hingegen wohnt eine Tugend inne: die gleichmäßige Verteilung des Elends.“

Trotzdem — oder gerade deshalb – wünsche ich Ihnen eine ertragreiche Börsenwoche!