Kultur – Eunuchen

Das sogenannte Feuilleton nimmt bei den großen Tageszeitungen nach dem Politikteil immer noch den zweiten Platz ein; erst dann kommen Wirtschaft und Finanzen und Fußball und Sport; täglich werden Kunstwerke oder Theaterinszenierungen oder Opern oder Bücher u.ä.m. besprochen; hin und wieder lasse ich mich durch eine Besprechung motivieren, ein Buch zu kaufen; alles andere interessiert mich nicht. Ein Branchenkenner schätzt, dass das Feuilleton noch von d r e i Prozent der Leserschaft zur Kenntnis genommen wird.

Die FAZ ist m.E. Deutschlands beste überregionale Tageszeitung, wobei das Feuilleton als Staat im Staate agiert und politische Kommentare und Berichte veröffentlicht, die vor Arroganz und Dummheit strotzen und die den Artikeln im Politik- und Wirtschaftsteil widersprechen.

Vor ein paar Monaten durfte ein Professor in einem Riesenartikel im FAZ-Feuilleton seinen antikapitalistischen Verbal-Müll absondern; vor ein paar Wochen las ich den Artikel eines leitenden FAZ-Feuilleton-Redakteurs, der sich mit Angela Merkels Rede an der amerikanischen Elite-Uni befasste und dessen widerliche Arroganz und Dummheit mir jetzt noch Brechreiz verursachen.

Jetzt lese ich im FAZ-Feuilleton einen primitiven Bericht über die schwierigen Verhandlungen in Brüssel. Schlagzeile: „Ach, Europudding. Ungenießbar: Das EU-Postengeschacher folgt Rezepten, von denen wir hofften, sie seien längst überholt.“ Zitat: „Das Projekt Europa, das in den vergangenen Wochen als Kampf gegen Populismus und einen vermeintlichen Rechtsruck ganzer Gesellschaften annonciert wurde, als Rettungsmission für die Demokratie, ist schon wieder ausverkauft.“ Würden diese Kulturbonzen endlich mal zur Kenntnis nehmen, dass die Demokratie genau so funktioniert: Wenn bei einer Wahl keine klaren Mehrheiten herauskommen, dann muss verhandelt werden, auch in Hinterzimmern, und dann muss immer weiter verhandelt werden, bis ein Ergebnis herauskommt. Was ist denn die Alternative ? Eine Wiederholung der Wahl hätte die Länder der EU noch mehr auseinander gebracht. Außerdem war das Wahlergebnis besser als vor ein paar Monaten befürchtet; da haben all die Medien-Klugscheißer noch Le Pen, Gauland und Konsorten siegen sehen. Wenn die Besetzung der leitenden EU-Positionen so erfolgt, wie jetzt vorgesehen, dann haben wir eine mindestens so kompetente EU-Regierung wie zuvor.

Ich verachte diese inzwischen allseits übliche destruktive Politiker-Kritik und werde immer wieder fragen: „Was tun Sie ? Bei welcher Partei haben Sie sich angemeldet ? Sind Sie bereit, für den Stadtrat zu kandidieren und jede Woche zehn bis zwanzig Stunden dafür zu opfern oder würden Sie sogar Ihren Job aufgeben, für den Bundestag kandidieren, mit Ihrer Familie nach Berlin ziehen oder dort eine kleine möblierte Wohnung anmieten und Ihre Familie aus der Entfernung geniessen ?“

Obwohl es unserem Land gut geht und obwohl die Chancen für Europa gut stehen: Fünfzig Prozent unserer lieben Landsleute wählen entweder nicht oder sie wählen die AfD oder die Linke. Fünfzig Prozent haben also von der Regierung und der FDP und den Grünen keine gute Meinung. Was passiert, wenn wir wegen einer derben Wirtschaftskrise plötzlich sechs Millionen Arbeistlose haben und die lieben Medien die Politik-Verdrossenheit weiter anheizen ?