Liga Theresienstadt

Das kleine Bild hat Oded Breda nicht mehr losgelassen. Siegesgewiss rennt darauf ein junger Mann in weißem Hemd und schwarzer Hose der Kamera entgegen. „Sein Gesicht hat mich regelrecht verfolgt“, erinnert sich der 58 Jahre alte Israeli. Anfang der sechziger Jahre hatten Verwandte die Aufnahme mitgebracht. Der knappe Text darunter verriet nur, dass das Foto in Theresienstadt entstand. Oded Breda wusste, dass die deutschen Besatzer seine Großeltern und seinen Onkel Pavel aus Brünn in das Konzentrationslager nordwestlich von Prag verschleppt hatten. Nur sein Vater konnte noch rechtzeitig nach Palästina entkommen.

Die Suche nach dem jungen Mann mit der hohen Stirn hat sein Leben verändert: Ist das der Bruder seines Vaters? Was macht Pavel, den sie Paul nannten, in Sportkleidung auf dem Schwarzweiß-Bild? Es dauerte Jahre, bis Oded Breda die Antworten fand: Es war tatsächlich sein Onkel, der am 1. September 1944 in einem Kasernenhof in Theresienstadt zu einem Fußballspiel einlief. Pavel Breda war einer der Verteidiger der „Jugendfürsorge“, die an dem Tag gegen die „Kleiderkammer“ antrat. In der „Theresienstädter Fußball-Liga“ waren die Mannschaften nach den Arbeitstellen der Spieler benannt.

Am 29. September 1944 brachte ihn ein Zug ins Vernichtungslager Auschwitz. Wenige später starb der Zwanzigjährige an Typhus. Seine Eltern waren vorher schon vergast worden. Oded Breda ist gerade aus Theresienstadt zurückgekehrt. Dort übergab er dem Chef des tschechischen Fußballverbands ein weißes Trikot. „Jugendfürsorge“ und der Name Breda stehen darauf. Ein ähnliches Hemd hat sein Onkel bei seinem letzten Spiel getragen. Oded Breda brachte auch noch eine kleine Ausstellung mit. Sie heißt „Liga Terezin“ und ist jetzt im Museum in der alten Festung zu sehen, die einst das Lager beherbergte.

Während andere Nationalmannschaften Auschwitz besuchen, erinnert der tschechische Fußballverband anlässlich der Europameisterschaft damit auf seine Weise an den Holocaust. Die erste Ausstellung hat Oded Breda schon vor ein paar Jahren in Israel zusammengestellt. Damals gab er seine gut bezahlte Stelle bei einem großen Computerunternehmen auf. In einem Kibbuz nördlich von Tel Aviv leitet er jetzt die Gedenkstätte „Beit Theresienstadt“. Träger ist ein Verein „zum Gedenken an die Märtyrer“ des Lagers. Doch Breda verharrte nicht in der Trauer über den Verlust, ihn faszinierte viel stärker das Leben in Theresienstadt im Angesicht des Todes. Sein Fußball spielender Onke half ihm, die Brücke in die Vergangenheit seiner eigenen Familie zu schlagen.

„Wir liebten Fußball“: Eine alte Filmsequenz zeigt Pavel Breda (oben rechts) 1944 in Theresienstadt. Heute spielt sein Neffe Oded Breda (unten rechts) für die „Liga Terezin“, neben ihm der Überlebende Paul Erben.

Sein Vater Mosche erzählte ihm bis ins hohe Alter fast nichts über diese Zeit. Oded Breda, benannt nach seinem in Auschwitz getöteten Großvater Otto, glaubt, dass Fußball dazu beitragen kann, die Erinnerung an den Holocaust wach zu halten. „Fünfzig Prozent aller Menschen begeistern sich für Fußball. Das ist eine gute Ausgangsvoraussetzung“, sagt er. Die jüngere Generation tue sich mit Geschichten von Tod und Vernichtung schwer. „Interessanter ist, wie die Menschen im Lager lebten. Das bringt die Vergangenheit näher.“ Die „Theresienstädter Liga“ ist ein Beispiel dafür. Dort traf die Mannschaft der Jugendfürsorge auf die Gärtner, die Elektriker und auf die besonders gefürchteten Fleischer. Die Metzger waren besser in Form, weil sie mehr zu essen bekamen als die anderen Häftlinge.

Andere Mannschaften nannten sich „Sparta Prag“, „Arsenal“ und „Fortuna Köln“. Manchmal kamen mehr als 3000 Menschen zu den Spielen, um sie anzufeuern. Auch in anderen Lagern wurde als Teil der von der
SS verordneten „Freizeitgestaltung“ Fußball gespielt. Aber einen ähnlich großen Spielbetrieb mit mehreren Divisionen gab es nur in Theresienstadt. In einer „Fachgruppe Fußball“ stellten die Insassen eigene Regeln auf. So spielten sieben Spieler zweimal 35 Minuten gegeneinander. Kinder gaben heimlich ihre Sportzeitungen heraus, in der sie genau Spiele und Ergebnisse beschrieben. „Wir liebten Fußball. Wir lebten in der Zeit, in der wir spielten“, erinnert sich Peter Erben. #

Heute geht der 91 Jahre alte Israeli am Stock. 1944 musste er als Spieler in der Theresienstädter Jugendfürsorge mit einem weißen Band seinen Haarschopf bändigen. Erben überlebte das Lager und konnte viele Jahre später die bohrende Frage von Oded Breda endgültig beantworten: Der Mann auf dem Foto war sein Mannschaftskamerad Pavel Breda. Zuvor hatte Oded Breda den Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ bei seinen Recherchen mit moderner Technik in einzelne Bilder zerlegt. Denn schon bald war klar, dass auch die Aufnahme seines Onkels aus dem Machwerk stammte, das die Welt noch 1944 davon überzeugen sollte, wie gut es den Insassen in ihrem Vorzeigelager Theresienstadt gehe.