Marion Samuel

Liebe Leser, ich fühle mich verpflichtet, immer mal wieder auf das deutsche Nazi-Reich zurückzukommen; neben der Erinnerung geht es auch darum, unseren Rechtsstaat
wertzuschätzen, unsere Politiker zu respektieren und die Europäische Union sowie das Weltbürgertum als Garantie dafür zu betrachten, dass diese Massenverbrechen nie wieder möglich sind.

„Juden werden aus Gesangsvereinen ausgeschlossen“ – dieser Beschluss vom 16.8.1933 wäre damals ohne das Einverständnis vieler Freunde und Nachbarn der Betroffenen nicht gefasst worden; so wurden auch Kinder aus Fußballvereinen verbannt und so hat sich gezeigt, wie dünn das Eis ist, auf dem die bürgerliche Gesellschaft wandelt und wie unabdingbar der funktionierende Rechtsstaat und der nicht umkehrbare Friedensschluss mit unseren Nachbarn ist.

In Nazi-Deutschland wurden auch weit über 100.000 geistig und körperlich behinderte Menschen ermordet, die mit mehr oder weniger Gewalt aus ihren Familien geholt und in „Anstalten“ eingeliefert wurden; vielen Eltern wurde vorgelogen, daß ihre Kinder dort besser aufgehoben seien.

Lesen Sie den folgenden Brief einer betroffenen Mutter vom 11.08.1941 an die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren:

Heute d. 10.8.41 erhielt ich Ihr Schreiben, wo ich gerade gerichtet war, nach 12 Uhr mit dem Zug nach Kaufbeuren zu fahren, um mein liebes Kind zu besuchen.

Vor Schreck über einen solchen Brief war ich wie gelahmt, das ist ja wirklich furchtbar für eine Mutter. Wenn ich das gewusst hätte, daß das Mädel wieder woanders hin geschafft wird, so hätte ich doch darauf gedrängt, mein Kind heimzunehmen, die Arbeit wäre mir nicht zuviel gewesen.

Wie Sie mir mitteilen, wissen Sie nicht wo das Mädel hingekommen ist. Sie werden doch kein Mädel aus Ihrer Anstalt geben, ohne zu wissen, wo sie hingekommen ist.

Kaufbeuren ist doch die Anstalt, wo ich selbst geglaubt habe, daß das Mädel am besten aufgehoben ist.

Im Anfang als die Kinder von L. nach Kaufbeuren kamen, habe ich furchtbar getan, weil mir viele Leute den Kopf verdreht haben mit den schlimmsten Wörtern, als ich aber mein liebes Kind Elisabet öfters besuchte, so dachte ich, meine Angst war umsonst, es ist nicht so, wie die Leute sagen.

Mein Gedanke war nun bisher, das Mädel ist bei Ihnen gut aufgehoben.

Auf meine Verantwortung, nehmen Sie das Mädel wieder in Ihre Anstalt zurück, ich werde mein Kind wieder besuchen.

Ich kann unmöglich meinen Angehörigen über solch Tat Mitteilung machen, die würden ja alle über mich herfallen, da ich als Mutter nicht einmal weiß, wo das Mädel ist.

Ich kann vorerst nichts unternehmen, zuerst muß ich wissen, wo das Mädel ist.

Wie schon erwähnt werden Sie doch kein Mädel hergeben, ohne die Eltern zuerst zu benachrichtigen.

Heil Hitler

Frau E.

Sollte dem Mädel etwas passieren, so sind wir schon in der Lage, das Mädel schon beerdigen zu lassen, ich habe so immer Angst, weil das Madel so schwächlich ist.

Die Tochter von Frau E. war im August 1941, als die Mutter den Brief schrieb, bereits ermordet.

Die Akten und Dokumente aus der Nazizeit lagerten nach dem 2. Weltkrieg jahrzehntelang in den Kellern der Anstalt; kein Chefarzt oder Klinikleiter interessierte sich dafür, bis Dr. Michael von Cranach kam und die gesamten Verbrechen aufarbeiten und dokumentieren ließ,um anschließend die Öffentlichkeit mit einer Ausstellung zu informieren.