Wolfgang Niedecken, Fußball-Fan und Kopf der Kölner Rockband BAP, in einem Interview mit der Zeitschrift Chrismon:
Haben Sie eine Vorstellung von Gott? „Ich habe eine Art agnostisches Beten für mich entwickelt, dann rede ich mit Gott, wie unter Kumpels, wie der Priester in den alten Don-Camillo-Filmen. Meist ist das recht flapsig. „Wat meinste Chef, ess dat okay?“ Es gibt auch Zeiten, wo ich denke: Du hast dich lange nicht mehr mit ihm unterhalten. Dann kriege ich ein schlechtes Gewissen. Ich würde mit dem Herrgott gerne einmal einen trinken gehen. Ich halte ihn für sehr sympathisch. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er sagt: Bleib in der Spur, zweifle nicht zu viel. Ich hatte unglaublich viel Glück in meinem Leben! Dass ich in dem Beruf gelandet bin, für den man mich kennt. Dass ich mit meinem Hobby vier Kinder großziehen konnte. Und dass bei meinem Schlaganfall alles gut gegangen ist. Da hat schon einer die Hand über mich gehalten. Das ist, als würde er zu mir sagen: „Komm, bleib: Bleib bei deinen 51 Prozent Glauben.“
Haben Sie Rachegefühle? „Nein. Obwohl ich als Kind von einem Priester missbraucht wurde. Mein Vater war sehr gläubig, ich bin katholisch erzogen worden mit Kommunion und Messdiener, später kam ich auf ein katholisches Internat. Als ich 13/14 Jahre alt war, hat uns Pater L. – ein sadistischer Päderast – so lange Lateinvokabeln abgefragt, bis wir uns verheddert haben. Dann wurden wir mit einem Stock, den wir selbst im Stadtpark schneiden mussten, geschlagen. Um Mitternacht durften wir endlich ins Bett gehen, aber immer wieder hat er einen nochmal aus dem Schlafsaal geholt – und dann mussten wir bei ihm auf den Schoß. Mein Vater hat es zufällig mitbekommen, er hatte mich zu Hause unter der Dusche gesehen, die Striemen auf meinem Rücken, auf meinem Hintern. Da habe ich es ihm erzählt, aber mit einem schlechten Gewissen: Wir wurden ja bestraft, weil wir etwas nicht konnten. Am nächsten Tag fuhr er zum Internat und der Kerl wurde versetzt. Das Schlimmste ist die eigene Gerichtsbarkeit, die sich die Kirche aufsetzt. Man hat den Pater nur unter Beobachtung gehalten und zugesehen, dass er nichts mit Jugendlichen zu tun hatte. Ich bin froh, dass ich nicht traumatisiert wurde! Einer der Jungs, die bei mir auf dem Internat waren, hat sich vor ein paar Jahren umgebracht. Ich habe lange überlegt, ob ich Pater L. noch einmal treffen will. Aber ich bin nicht wirklich zu einem Ergebnis gekommen. Er ist alt und blind, er wird schon gebüßt haben.