Müssen wir uns Sorgen machen ?

Vor ein paar Tagen hat eine Umfrage ergeben, dass über 50 Prozent der Deutschen überzeugt sind, dass unsere Politiker keinen guten Job machen. Wenn man bedenkt, dass sich unser Land noch vor 70 Jahren am moralischen und wirtschaftlichen Tiefpunkt seiner Geschichte befand und heute zu den erfolgreichsten Ländern der Welt gehört – dann ist das Ergebnis dieser Umfrage erstaunlich. Natürlich haben Arbeiter und Architekten unsere Häuser gebaut und kreative Wissenschaftler Patente entwickelt und begabte Unternehmer ihre Firmen erfolgreich entwickelt usw. usw.

Aber das alles war nur möglich auf der Grundlage politischer Entscheidungsprozesse, die in der Summe einen großen Anteil an unserem Wohlstand und an unserer Sicherheit und an unserem Sozialstaat haben.

Politische Arbeit ist frustrierend, weil bei fast jeder Entscheidung Pro- und Contra-Argumente abzuwägen sind und weil die diversen gesellschaftlichen Kräfte natürlich immer nur ihre eigenen Argumente propagieren und weil die meisten Medien nur knackigen SchwarzWeiß-Journalismus praktizieren – soll heißen: Alle politischen Entscheidungen sind falsch. Das kostet nicht viel Aufwand und findet – wie o.g. Umfrage beweist – die meisten Leser.

Aber weil gedruckte Medien wegen des Internets unter großem wirtschaftlichen Druck stehen, muss die Kritik an der Politik noch aggressiver und primitiver ausfallen, damit sie sich verkauft. Ein paar Beispiele:

  • Das Handelsblatt war vor vielen Jahren eine ziemlich kompetente und in Sachen Politiker-Schmäh zurückhaltende Zeitung. Die Auflage geht deutlich zurück. Also muss das Hetz-Niveau der Bild-Zeitung unterboten werden. Die folgende Schlagzeile muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: „Konzernzentrale Reichstag. Hilfskredite, stille Beteiligungen, Kurzarbeitergeld: Der Staat greift bei der Bekämpfung des Coronavirus in einem nie da gewesenen Maß in Wirtschaft und Unternehmen ein. Die Rettungspolitik führt zu Fehlentwicklungen, Betrügereien und Belastungen für die nächsten Generationen.“ Abgesehen von dem widerlichen Begriff „Reichstag“: Die Gewerkschaften und Unternehmerverbände waren in die Entscheidungen des Wirtschafts- und Finanzministers eingebunden.
  • Der Chef-Hetzer Tiedje schreibt in „Euro am Sonntag“ zum 750-Milliarden-EU-Wirtschaftsprogramm: „Was nutzt es dem deutschen Volk, wenn die Corona-gebeutelten Italiener mit derartigen Hilfsgeldern ihre Schrott-Airline Alitalia retten? Warum erklären Merkel & Co. den Deutschen die Zusammenhänge nicht? Wenn der deutsche Rentner/Sparer/Steuerzahler weiß, wie führende Politiker sein Geld verschenken, wird er seine Schlüsse daraus ziehen.“
  • Nochmal das Handelsblatt mit einer Schlagzeile, die kein Leser versteht: „Die Rückkehr der Vulgär-Keynesianer“ und der Feststellung: „Die Schuldendebatte entgleist. Die Politik kalkuliert mit langfristig niedrigen Zinsen. Das ist fahrlässig.“ Nachdem die Regierung jahrelang wegen der Schwarzen Null kritisiert wurde („Investieren statt sparen“) ist jetzt das Gegenteil richtig.
  • Nach langen und schwierigen Verhandlungen hat die Bundesregierung den Kohle-Ausstiegsvertrag mit den Kraftwerksbetreibern gebilligt. Schwierig deshalb, weil unterschiedliche Interessen von Arbeitnehmern, Eigentümern, Bundesländern, Steuerzahlern und Umweltschützern zu berücksichtigen waren. Die Schlagzeile zu diesem Thema lautet in der Süddeutschen Zeitung: „Kohle für die Konzerne“.

Weniger als vier Prozent der Deutschen sind Mitglied einer politischen Partei und fast 50 Prozent der Wahlberechtigten wählen nicht oder wählen eine radikale Partei.