Nazideutschland

Vor ein paar Tagen wollte ich das Grab einer nahen Verwandten aufsuchen; ich ging ziemlich achtlos an den anderen Gräbern vorbei, bis mein Blick auf den sogenannten Soldatenfriedhof fiel, den ich noch nie beachtet hatte.

Einige hundert verwitterte Steinkreuze mit Namen und Geburts- und Todesjahr. Mehr nicht. Auf dem ersten Kreuz stand: Ewald Wirtz – 1926-1944. Mir wurde schlagartig bewusst, welch ungeheures Verbrechen diese Nazis (und ein relevanter Teil des Offiziers – Corps) auch am eigenen Volk begangen haben. Wieviel Millionen deutsche Gefallene gab es im 2. Weltkrieg ? Wieviel Millionen Gefallene haben die Kriegsgegner Deutschlands zu beklagen?

Zu Hause angekommen, nahm ich die Zeitung in die Hand und las ein paar Leserbriefe von pensionierten höheren Offizieren der Bundeswehr, die die Ministerin von der Leyen beschimpften und beschuldigten, den Geist der Truppe, den es auch im 2. Weltkrieg gegeben habe, zu verraten. Mir wurde kotzübel. Ewald Wirtz wird es wahrscheinlich beruhigt haben, dass er im Geist der Truppe von den Generälen geopfert wurde. (Aktuell wird auch wieder über den 1. Weltkrieg und darüber diskutiert, ob das Militär das eigene
Volk im Stich gelassen habe oder umgekehrt (Dolchstoßlegende); auch hier geht es um den Geist der
Truppe)

Ja, es ist äußerst kompliziert, den Angehörigen der Wehrmacht und insbesondere den Generälen gegenüber Gerechtigkeit walten zu lassen. Beispiel: Der Generalstabsoffizier von Tresckow war sowohl einer der Attentäter des 20. Juli 1944 als auch Teil der Heeresgruppe Mitte, die an schlimmen Kriegsverbrechen beteiligt war.

Fakt ist, dass das Märchen von der sauberen Wehrmacht ausgeträumt ist, dass die Präventivkriegsthese widerlegt ist und dass zahlreiche Offiziere in die Verbrechen der Nazis eingeweiht, an diesen Verbrechen beteiligt waren oder diese Verbrechen angetrieben haben.

Der Militärhistoriker Sönke Neitzel bringt es im SPIEGEL auf den Punkt:

„Heute wissen wir, dass die Wehrmacht, trotz aller Unterschiede zur SS, selbst eine kriminelle Organisation war. Keiner ging aus dem 2. Weltkrieg weiß hervor. Es geht um Grautöne. Bei dem einen helles Grau, bei anderen dunkles Grau.“

Wir brauchen die Bundeswehr und ich bin den Soldaten, die sich zur Verfügung stellen, dankbar. Aber es kann nur einen „Geist der Truppe“ geben und das ist unser Grundgesetz II! Deutsche und internationale Historiker haben seit den achtziger Jahren die Nazizeit kompetent und unideologisch erforscht und dokumentiert; die von mir 1994 gegründete Stiftung Erinnerung hat einen kleinen Beitrag dazu geleistet.

Ich bin unsicher, ob ich Sie, liebe Leser, auch mit diesem deprimierenden Thema konfrontieren soll; vielleicht werde ich hin und wieder darauf zurückkommen, wenn linke und rechte Radikalinskis die Europäische Union, die Globalisierung, den Welthandel oder andere Interessen des Weltbürgertums hintertreiben.