Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa über Kapitalismus

„Die Demokratie an sich – das heißt das politische System, das der Gesellschaft erwiesenermaßen ihre größten Errungenschaften  beschert hat:  Unterdrückung von Gewalt, friedliche Regierungswechsel, Zusammenleben in Vielfalt und die besten Kontrollmechanismen gegen Machtmißbrauch – ist untrennbar verbunden mit dem auf Werten wie Privateigentum beruhenden Kapitalismus.

Der Kapitalismus hat die Gesellschaft von der Sklaverei und Unterdrückung des feudalen Systems befreit, das die Mehrheit der Menchen zu von morgens bis abends schuftenden Arbeitstieren erniedrigte, ohne Rechte, Würde oder Lohn, von den Feudalherren oft unbarmherziger behandelt als ihre Pferde oder Hunde.  Das Leben wurde humaner mit dem Aufkommen von unabhängigen Betrieben, privaten Händlern, der Entwicklung modernen Städte, einem System von privatem Eigentum, Freihandel und offenen Märkten.  Ohne all das wären die Ideen vom selbstbestimmten Individuum, vom Recht eines jeden einzelnen und der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz nie entstanden.  Errungenschaften, die sich in diesem einzigen Wort  F r e i h e i t  erfassen lassen  –  ein Begriff, der politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Chancen eröffnete, Veränderungen bewirkte und Werte schuf, die der Menschheit einen Fortschritt bescherten, wie ihn sich unsere Vorfahren niemals hätten träumen lassen.

In Asien und Lateinamerika scheint der Kapitalismus ganz und gar nicht ausgedient zu haben.  Im Gegenteil:  in jenen Regionen der Welt präsentiert er sich kraftstrotzender und zuversichtlicher den je.  Indien, Südkorea, Taiwan, China, Singapur, Indonesien, Malaysia und Südafrika glänzen mit boomenden Wirtschaften, tatkräftigen Privatunternehmen und zahlreichen Investitionen aus aller Welt, die dort Arbeitsplätze schaffen und  eine Mittelschicht heranwachsen lassen.

Das Panorama in Lateinamerika stellt sich nicht minder vielversprechend dar für jemanden, der wie ich daran glaubt, daß nur ein System der freien Unternehmen, des privaten Eigentums. offener Märkte und politischer Freiheit befähigt ist, Elend, Hunger und Ausbeutung ein Ende zu setzen und Gesellschaften zu schaffen, die echten Wohlstand bieten.  Unterdessen verkommt die kubanische Diktatur im Elend, populistische und pseudodemokratische Regime wie jene in Venezuela, Bolivien und Nicaragua lassen ihre Länder verarmen und in Korruption und Gewalt ersticken.

Im Laufe der Geschichte hat das System des freien Unternehmertums seine außergewöhnliche Fähigkeit bewiesen, sich zu erneuern und neu zu erfinden.  Es ist der Moment gekommen, diese Fähigkeiten erneut unter Beweis zu stellen, und zwar in den bekannten Schritten:

1. Es bedarf einer radikalen, aber konstruktiven Selbstkritik hinsichtlich der Ursachen dessen, was schiefläuft.  In diesem Fall handelt es sich dabei um das Wohlwollen und die Toleranz gegenüber jenen, welche die vom Gesetz des freien Marktes und Wettbewerbs festgelegten Spielregeln missachten.  Sie müssen deshalb verurteilt und einer Strafe zugeführt werden.

2. Es bedarf der Zielsetzung und nie nachlassenden Anstrengung, das System wieder auf die ethischen Prinzipien zurückzuführen, die allein ihm seine Rechtfertigung verleihen.  Das heißt, wir sollten die Idee hochhalten, daß der Kapitalismus mehr noch als ein Wirtschaftssystem mit bestimmten Regeln eine auf  Werte begründete Kultur ist – bestehend aus Freiheit, Recht und Gesetz – , die das Leben der Menschen sowohl auf materieller Ebene als auch in puncto Würde, Mitgefühl, Chancen, Achtung vor dem Nächsten, Solidarität und Barmherzigkeit vorangebracht haben.

Wir stehen vor einer schwierigen, aber nicht unlösbaren Aufgabe.  Die Erkennntnis, daß das System, für das wir eintreten, trotz seiner Unzulänglichkeiten immer noch besser ist als alle, die bisher versucht haben, es zu ersetzen mit dem Versprechen, das Paradies auf Erden zu schaffen, während sie den Gesellschaften, die sie in ihren Bann zogen, eher die Hölle auf Erden bescherten, sollte uns ermutigen, diese Aufgabe in Angriff zu nehmen.  Geben wir der politischen Demokratie und der politischen Freiheit ihr moralisches Gewissen zurück, das sie in den besten Momenten ihrer Geschichte besassen.  Zu jenen Zeiten nämlich, als Fortschritt  u n d  Kultur ihre größten Erfolge feierten.

Papst Franziskus ist ein Mann der klaren Botschaft:  „Diese Wirtschaft tötet.“ Mit einem einzigen Satz spricht der Papst aus, was sich Millionen von Menschen denken:  Die Reichen werden immer reicher, während die Ärmsten der Armen vor die Hunde gehen.  Das sei laut gängiger Meinung auch keine Laune der Natur, sondern das Naturgesetz einer heillos ungerechten Spielanordnung, die auf allen Teilen der Erde ihr Unwesen treibe.  Ob man diese Wirtschaft nun Kapitalismus oder freie Marktwirtschaft nennt, ist eine Geschmacksfrage, die am vernichtenden Befund nichtas ändert:  Jene, die schon alles haben, stopfen sich immer mehr die Taschen voll, während es Abermillionen von Menschen am Nötigsten fehlt.  Weil der Überfluss der wenigen seit Generationen in den Entwicklungsländern zusammengestohlen wird.  Wer das für billige Antikapitalismuspolemik linker Obskuranten hält, dürfte schon länger keine wirtschaftspolitischen Diskussionen mit Freunden und Bekannten geführt haben.  Andernfalls wäre klar, daß sich Papst Franziskus` Kapitalismuskritik mittlerweile in den verbliebenen Salons des wohlhabenden Bürgertums etabliert hat.  Sich gegen Kapitalismus und seinen „Fetisch Wachstum“ auszusprechen, ist ebenso chic wie das Beklagen des angeblich von den Geldgebern kaputtgesparten Griechenlands.  Gefolgt vom flammenden Appell, daß „wir“ endlich aufwachen müssen, bevor Mutter Erde erbarmungslos zurückschlagen wird.

„Diese Wirtschaft“ tötet nicht, sie löst die Probleme von Millionen von Verbrauchern in allen Teilen der Welt.  Nicht zuletzt jene der weniger begüterten Menschen.  Es sind nicht gemeinwohlorientierte Genossenschaften, die den ressourcenschonenden Gemeinschaftskonsum möglich machen, sondern die nach Profit strebenden neuen wie eingesessenen Anbieter der Marktwirtschaft.  Auch wenn sich diese Erkenntnis nicht für ein „Evangelii Gaudium“ zu eignen scheint.  Schade eigentlich.“