Christopher Browning: Ganz normale Männer.
Am 13. Juli 1942 verließen die Männer des Reserve-Polizeibataillons 101 ihre Unterkünfte im besetzten Polen, um die nahegelegene Ortschaft Józefów zu umstellen. Als Einheit der deutschen Ordnungspolizei zuständig für Sicherheitsaufgaben im besetzten Gebiet, erfuhren sie erst auf dem Marktplatz der Kleinstadt das Ziel ihres Einsatzes. Das Bataillon, erklärte sein kommandierender Offizier, solle alle Juden des Ortes zusammentreiben, die Männer im arbeitsfähigen Alter „aussondern“ und die übrigen – Frauen, Kinder, Säuglinge und Greise – auf der Stelle erschießen.
Bis auf wenige empfanden die 500 Männer der Einheit, die seit drei Wochen in Polen waren, den Befehl als Schock. Aufgewachsen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik gehörten sie nicht zu den überzeugten Nationalsozialisten und hatten, wenn überhaupt, erst 1933 den Schritt in die NSDAP gemacht. Zugehörig zum Mittelstand und zur Arbeiterschaft, waren sie als Angestellte, Lehrer, Handwerker und Facharbeiter für den Dienst an der Front zu alt und man hatte sie daher zur Polizei eingezogen.
Am Abend desselben Tages waren 1500 Bewohner von Józefów tot. Mehr als 12 Stunden lang hatten die Polizisten ihre Opfer in ein nahegelegenes Waldstück geführt, ihnen die Spitzen ihrer aufgepflanzten Bajonette in den Nacken gesetzt und die nackten Frauen, Kinder und Greise erschossen. Sie taten es freiwillig, denn zuvor war ihnen gesagt worden, dass sie den Befehl nicht ausführen mussten.
Dies war der erste von vielen Einsätzen, in denen die Angehörigen des Reserve-Polizeibataillons 101 zwischen Juli 1942 und November 1943 mehr als 38.000 Menschen erschossen und erschlugen und weitere 45.000 aus ihren Häusern und Verstecken in Viehwaggons trieben, um sie in die Gaskammern von Treblinka zu schicken.
Mit erdrückender Genauigkeit verfolgt Christopher Browning über einen Zeitraum von 16 Monaten hinweg die Täter und ihre Einsätze in den kleinen Orten und in den Ghettos der größeren Städte. Und er fragt, was die Mitglieder dieser Truppe, die weder zu den Fanatikern des Dritten Reiches noch zur SS oder zu den Mannschaften in den Konzentrationslagern gehören, was diese ganz normalen Männer und Familienväter dazu bringt, Mord und Totschlag zu ihrem alltäglichen Handwerk zu machen.