Nur ein Vogelschiss

Das Heimweh des Walerjan Wrobel

Walerjans Geschichte liegt weit zurück. Im Frühjahr 1941 – er ist gerade 16 Jahre alt geworden – kommt Walerjan zum „Arbeitseinsatz“ nach Deutschland: einer von mehr als zwei Millionen polnischen Zivilarbeitern im „Großdeutschen Reich“. Als „landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter“ wird er vom Arbeitsamt Bremen auf einen Bauernhof vermittelt. Er soll dort arbeiten – für den „Endsieg“. Aber er will zurück. Nach Hause. Walerjan kann kein deutsch. Das Essen ist zu wenig, die Kleidung zu dünn, die Arbeit zu schwer. Walerjan hat Heimweh. Eines nachts läuft er weg. Er will die 900 Kilometer zu seinem Dorf in Polen zu Fuß laufen. Am nächsten Morgen von einer Polizeistreife angehalten, wird er auf den Hof zurückgebracht und verwarnt: Auf „Arbeitsvertragsbruch“ steht „Arbeitserziehungslager“. Walerjan versteht nichts: „Ich Pole! Ich nach Hause!“

Drei Tage später hat er einen neuen Plan. Er wird auf dem Hof Feuer legen. In der Scheune. „Dann sehen die: das ist ein schlechter Arbeiter! Weg mit dem! Zurück nach Polen!“ Er nimmt eine Schachtel Streichhölzer vom Küchenbord, geht in die Scheune und zündet etwas Stroh an. Das Feuer wird sofort entdeckt. Walerjan hilft beim Löschen. Nur das Stroh ist verbrannt. Sonst ist nichts passiert. Aber die Bäuerin packt ihn am Hals und schüttelt ihn. Ein anderer Pole, der auch auf dem Hof arbeitet, schreit ihn an. „Dafür wirst du erschossen!“

Gestapozelle, Vernehmung, Überstellung nach Neuengamme, Konzentrationslager bei Hamburg. Neun Monate Arbeitsqual: Schaufel-Schiebkarren-Kommando. Schlamm, Regen, Dreck, Hunger. Sie müssen einen Stichkanal bauen. Walerjan fällt ins Wasser. Piotrowski, der neben ihm arbeitet, rettet ihn vor dem Ertrinken. Er wird sein Freund. Hoffnung auf Heimkehr. Heimweh.

Der Prozess: Landgericht Bremen. Gerichtsgebäude Domsheide. Strafkammersaal. 8. Juli 1942, 11.45 Uhr: Öffentliche Sitzung des Sondergerichts Bremen. § 3 der Volksschädlingsverordnung. Ziffern II, III, XIV der Polenstrafrechtsverordnung: „…..mußte den Angeklagten trotz seiner Jugend und trotzdem er geistig in seiner Entwicklung zurückgeblieben ist, als Polen zwangsläufig die Todesstrafe treffen, da eine andere Strafe nicht zugelassen ist.“

Warten auf Gnade. Untersuchungshaftanstalt Hamburg. Holstenglacis. Protokoll: „….auch im weiteren Verlauf der Nacht blieb er gleichmäßig ruhig. Nur als er zu seinem letzten Gang fertig gemacht wurde, wurde er etwas aufgeregt. Als Pfarrer Behnen ihm jedoch zuredete: „Ich gehe ja mit!“, wurde er wieder ruhiger, sodaß er den Weg zur Richtstätte ziemlich festen Schrittes zurücklegen konnte….“