Nur ein Vogelschiss

Man muss nur ein einziges Buch lesen, um jeden Zweifel an den Geschehnissen in den Konzentrationslagern zu verlieren: „I s t d a s e i n M e n s c h ?“ von Primo Levi.

Levi erzählt auf eine Weise vom Leben und Sterben im Konzentrationslager, das jeder emotionalen Beteiligung entbehrte: mit der Sachlichkeit des Naturwissenschaftlers, der er war. Gerade diese Kühle macht seine Schilderungen nahezu unerträglich – und zugleich unbezweifelbar. Zitate aus Levis Buch:

  • Trotz des Grauens von Hiroshima und Nagasaki, der Schande des Gulags, der sinnlosen und blutigen Unternehmung in Vietnam, trotz des Völkerselbstmords in Kambodscha, der Desaparecidos in Argentinien und der vielen grausamen und sinnentleerten Kriege, die sich in der Folgezeit ereignet haben-, das nationalsozialistische System der Konzentrationslager war ein Unikum, sowohl von seinem Umfang her als auch von seiner Beschaffenheit. An keinem anderen Ort und zu keiner anderen Zeit hat man ein derart unerwartetes und derart komplexes Phänomen beobachtet: Niemals sind so viele Menschenleben in so kurzer Zeit mit einer derart luziden Kombination von technischer Erfindungsgabe, Fanatismus und Grausamkeit ausgelöscht worden.
  • Ich muss einräumen, einmal die Versuchung gespürt zu haben (und wiederum: nur ein einziges Mal) nachzugeben, Zuflucht im Gebet zu suchen. Das war im Oktober 1944, im einzigen Augenblick, in dem ich bei klarem Bewusstsein den bevorstehenden Tod wahrgenommen habe: als ich, nackt und eingezwängt unter meinen nackten Gefährten, mit meiner Karteikarte in der Hand, darauf wartete, vor der „Kommission“ zu erscheinen, die mit einem Blick darüber entscheiden würde, ob ich sofort in die Gaskammer mußte oder ob ich kräftig genug war, noch weiterzuarbeiten. Für einen Moment hatte ich das Bedürfnis, um Hilfe und Schutz zu bitten. Dann aber hat, trotz meiner Angst, der Gleichmut gesiegt: Man ändert nicht die Spielregeln am Ende der Partie und auch nicht, wenn man dabei ist zu verlieren. Ein Gebet wäre in dieser Situation nicht nur absurd gewesen (welche Rechte hätte ich denn einklagen können und bei wem?), sondern auch blasphemisch, obszön und erfüllt von der größten Frevelhaftigkeit, zu der ein Nichtgläubiger imstande wäre. Ich wehrte diese Versuchung ab: Ich wußte, daß ich mich ihrer, wenn ich überleben würde, schämen müßte.