„Pubertäre Reaktionen“

Anders als Frankreich oder Ungarn hat nie eine polnische Regierung mit den Nazis kooperiert und keine Bevölkerung hat im 2. Weltkrieg derart gelitten, wie die polnische. Nachdem Hitler und Stalin 1939 Polen unter sich aufgeteilt hatten, wüteten die Deutschen (und in geringerem Masse auch die Sowjetunion) und töteten etwa ein Fünftel der Bevölkerung; von den 3,3 Millionen polnischen Juden überlebten nur einige Zehntausend; die anderen wurden von Deutschen erschossen oder in den Vernichtungslagern vergast.

Nun hat der Historiker Yehuda Bauer der nationalkonservativen polnischen Regierung vorgeworfen, die Ermordung von mindestens 150.000 Juden durch Polen zu leugnen. Bereits vor dem Einmarsch der Deutschen gab es in Polen einen aggressiven, von der katholischen Kirche befeuerten Antisemitismus; während der deutschen Besatzung beteiligten sich polnische Bürger an Progromen – teilweise aus Habgier und teilweise aus Angst vor den Deutschen. Auch nach dem Krieg wurden noch hunderte polnische Juden von Polen ermordet. Selbst heute noch warnt das katholische Radio Maria unterschwellig vor geldgierigen Juden und die Regierung wollte ein Gesetz erlassen, das die unabhängige Medienberichterstattung und Forschung zum Holocaust und zur Kollaboration kriminalisiert hätte.

Auch der polnisch-kanadische Historiker Jan Grabowski wird angefeindet, weil er mit anderen Historikern nachgewiesen hat, dass Polen tausende Juden bei den Nazis denunzierten oder eigenhändig ermordeten. Grabowski: „Wenn man sagt, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung an Judenmorden beteiligt war, berührt das den Kern des polnischen Nationalbewusstseins, deshalb die pubertären und idiotischen Reaktionen.“ (NZZ)

Bitte lesen Sie auch den folgenden FAZ-Leserbrief von Frau Renata Berlin: