Roma und Sinti

Eine wesentliche Rolle bei der Verfestigung der Vorurteile gegenüber Roma und Sinti spielte die Verbreitung der so genannten Eugenik, einer Pseudowissenschaft, die davon ausging, dass das soziale Verhalten erblich bestimmt sei. Ausgehend von den USA verbreitete sich diese Theorie rasch in den wissenschaftlichen Kreisen Europas und führte schon bald zu so genannten „rassehygienischen Maßnahmen, wie etwa der zwangsweise oder heimlich durchgeführten Sterilisierung von tauben Menschen, weil man auch Taubheit für eine ererbte Behinderung hielt. Hatte man im 18. Jahrhundert noch versucht, die „Zigeuner“ durch verschiedene Maßnahmen wie Zwangsansiedlung, Verbot des Gebrauches ihrer Sprache sowie Wegnahme der Kinder und deren Erziehung durch Bauernfamilien zu „zivilisieren“, zu vollwertigen Mitgliedern der Gesellschaft zu „erziehen“, so setzte sich im 19. Jahrhundert unter dem Einfluss der Eugenik mehr und mehr die Ansicht durch, dass solche Maßnahmen zum Scheitern verurteilt wären, da den „Zigeunern“ ihr angeblich „abartiges“ Verhalten eben angeboren sei. Die Experten der Rassenhygiene waren überzeugt, dass vor allem auch der Hang zur Kriminalität ererbt sei – und der so genannte „Wandertrieb“ galt als eines der sichersten Zeichen, um „geborene Verbrecher“ erkennen zu können. Besonders die Wissenschaftler an der Psychiatrischen Klinik Burghölzli in Zürich sollten in dieser Hinsicht für Europa richtungsweisend werden.

Den meisten Roma und Sinti, welche den nationalsozialistischn Völkermord überlebt hatten, wurde eine Anerkennung als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung, wurden Restitution und Entschädigung über Jahrzehnte verwehrt. Viele deutsche Sinti und Roma erhielten nach 1945 die deutsche Staatsbürgerschaft, die ihnen von den Nazis entzogen worden war, nicht wieder zurück und wurden in den 1950er und 1960er Jahren ausgebürgert. Die Anerkennung als Verfolgungsopfer musste von jungen Aktivisten zu Beginn der 1980er Jahre mühsam erkämpft werden. Im Zuge dieses politischen Kampfes um Anerkennung, der in einem Hungerstreik in der KZ-Gedenkstätte Dachau kulminierte, kam ans Tageslicht, dass die ehemalige nationalsozialistische „Reichszentrale zur Erfassung des Zigeunerunwesens“ mitsamt ihrer Kartei in München nach 1946 unter der beschönigenden Bezeichnung „Landfahrerzentrale“ weitergeführt worden war. Viele der nationalsozialistischen Täter waren nach Kriegsende wieder in den Polizeiapparat übernommen worden und leiteten dort auch wieder die mit „Zigeunerangelegenheiten“ betrauten Abteilungen deutscher Landeskriminalämter.

Erst zu Beginn der achtziger Jahre erkannte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt offiziell den nationalsozialistischen Völkermord als solchen an, Bundeskanzler Helmut Kohl wiederholte diese Anerkenntnis. Und erst im Februar 2016 (!!!!) entschuldigte sich die Präsidentin des Bundesgerichtshofs, Bettina Limperg, formell für die „unerträgliche“ Rechtsprechung ihres Gerichts.

Die Errichtung des Gedenkortes für die von den Nationalsozialisten und ihren Helfern ermordeten Sinti und Roma in Berlin, der im Oktober 2012 eingeweiht wurde, und die Rede des niederländischen Sinto Zoni Weisz im Deutschen Bundestag anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2011 markieren deutlich und öffentlich das Ende der staatlichen Diskriminierung.

(Aus dem Buch „…….weil ich selber so überrascht war, dass ich so wenig wusste.“ Herbert Utz Verlag)

Fortsetzung folgt