Sehr zu empfehlen: Florian Illies „Was ich unbedingt noch erzählen wollte“

Viele kleine romantische oder politische oder spannende oder witzige Episoden aus dem Jahr 1913; Beispiele:

= „Am Nachmittag des 1. Januar wird Kalifornien von einem Erdbeben durchgerüttelt. Das Epizentrum liegt in jenem Tal, das später als Silicon Valley die Welt regieren wird. Unbeeindruckt von dem Erdbeben wird am 1. Januar erstmals in Amerika ein Paket mit der Post versandt. Wenige Tage später bricht Franz Kafka, vollkommen ratlos, trotzdem die Arbeit an seinem Roman „Amerika“ ab.

= „Am 9. Januar findet Kaiser Wilhelm ll. den Gottesbeweis. Er spricht zum hundertsten Jubiläum des preußischen Aufstandes gegen die napoleonische Fremdherrschaft und stellt aus heiterem Himmel fest: „Wir haben die sichtbaren Beweise, dass Gott mit uns war und mit uns ist. Und aus diesen greifbaren, sichtbaren Tatsachen der Vergangenheit kann sich auch die gesamte deutsche Jugend den im Feuer bewährten Schild des Glaubens schmieden, der nie in der Waffenrüstung eines Deutschen und Preußen fehlen darf.“

= „Der Freikörperkulturattachee Richard Ungewitter publizitiert in diesen Tagen sein Standardwerk „Nacktheit und Kultur – Neue Forderungen“ mit einem kleinen Gruß an Amelie Beese-Boutard: „Würde jedes deutsche Weib öfter einen germanischen Mann sehen“, schreibt er, „so würden nicht so viele exotischen fremden Rassen nachlaufen.“

= „Im S.Fischer Verlag ercheint in den ersten Tagen des Februars Thomas Manns Novelle „Tod in Venedig“, die der Autor eine „Geschichte von der Wollust des Untergangs“ nennt. Zwei Straßen neben Thomas Manns Wohnung sitzt in diesen Tagen Oswald Spengler und schreibt jeden Morgen an seinem „Untergang des Abendlandes“. Von Wollust ist da schon keine Rede mehr.

= Am 19. Februar morgens um 6 Uhr, es ist noch dunkel, wird die Stille im beschaulichen Waltin Hill südlich von London von einer gewaltigen Detonation erschüttert. Im neugebauten Landhaus des englischen Schatzkanzlers David Lloyd George explodiert eine Bombe. Verletzt wurde niemand, aber eine Bewegung hatte sich Gehör verschafft. Denn gelegt wurde die Bombe von Emeline Pankhurst, einer unerschrockenen englischen Suffragette, wie die Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht genannt werden. Die Justiz hatte keine Wahl und steckte sie für drei Jahre ins Gefängnis.