Skrupellos u. gefährlich

„Nächste Woche soll der neue Fernsehsender Bild TV starten, und wenn Programmchef Claus Strunz davon erzählt, wird einem jetzt schon schlecht. In einem Interview mit den Werbepartnern von Meedia.de beschrieb er seine Pläne so: „Ich stelle mir „Bild“ gerne als Karussel vor“, erklärte er, „natürlich schon immer das größte auf dem Jahrmarkt. Es wird durch Neuigkeiten angetrieben. Je mehr, desto schneller.“ Schon durch den Onlineauftritt sei es Tag und Nacht gelaufen, auf dem neuen Kanal kriege es „eben einen kräftigen Schubser mehr“ und dreht nun also völlig durch: „24 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche werde es laufend mit neuen Themen befeuert und beschleunigt und damit noch schneller, noch aufregender und noch attraktiver für immer mehr Mitfahrer.“

Schwindelgefahr ist damit garantiert. Andererseits war ja auch nicht zu erwarten, dass das Krawallblatt mit besinnlichem und ausgeruhtem Fernsehen antritt. Kern des Programms sei eine mehrstündige Livesendung, in der man vor allem den „Helden des Alltags Gesicht und Stimme“ geben will, sagt Strunz, und schilderte am Beispiel des Todes von Schauspieler Willi Herren ganz aufgeregt, wie er sich das vorstellt: Natürlich hätte das Bild-Fernsehen als „Breaking News“ berichtet und sofort einen Reporter vor das Haus geschickt, um live mit Nachbarn, Freunden und Rettungskräften zu sprechen. Gleichzeitig hätte man im Studio „den besten Willi-Herren-Kenner aus der Redaktion interviewt, nicht nur um den Zuschauern „ein authentisches Bild“ zu verschaffen, sondern auch, weil so eine Aufdringlichkeit die Trauer besser und ehrlicher widerspiegelt als irgendein Zusammenschnitt.“

Hauptsache, es geht schnell: „Drehen, schneiden, vertonen. Das dauert uns zu lange“, stattdessen baue man auf „Schalten, Talks und Bilder-Teppiche“.

Wenn gerade keiner stirbt, verbringen Bild-Redakteure und Interviewpartner die Zeit damit, zu sagen, „was wirklich los ist in Deutschland“, bis dann im „Bild-Talk“ um 20.15 Uhr endlich, na was wohl, „Tacheles“ geredet wird.

Und damit man mit der Primetime-Show „Die richtigen Fragen“ am Sonntag um 21.45 Uhr auch gegen „Anne Will“ konkurrieren kann, verabschiedet sich Strunz ganz offiziell vom Journalismus und schlägt den Politikern einen Deal vor: „Äußert er oder sie sich bei uns, ist das am Montag möglicherweise der Bild-Politik-Aufmacher oder gar die Schlagzeile auf all unseren Plattformen mit einer Gesamtreichweite von über 40 Millionen.“

Das Rezept von Bild TV entspricht damit dem gleichen Ansatz, den Strunz bei ProSiebenSAT1 sieht: Dort mache man „Künftig offenbar seine News selber.“

(Erschienen in der FAZ)