Szenische Verdichtungen

Der stellvertrende SPIEGEL-Chefredaktuer Kurbjuweit schrieb über ein Treffen mit dem Autor Martin Walser, dass „Walsers Gesicht zu Marmor wurde“, als er das Gerücht gehört hatte, er habe 2004 den Nobelpreis für Literatur gewonnen. Kein Marmor ! Kurbjuweit hatte die Geschichte erfunden. Und eine Kollegin von Kurbjuweit berichtete über die G-20-Proteste in Hamburg und die Mutter eines in Genua getöteten Demontranten; diese Frau habe am 7. Juli 2017 „den Rauch, den Tumult, die Einsatzwagen aus sicherer Entfernung von ihrem Hotelzimmer am Hamburger Hafen aus“ gesehen. Das war auch gelogen, weil die Frau am 7. Juli bereits zurück in Genua war. Das sind nur zwei kleine Beispiele für hunderte wenn nicht tausende Erfindungen und Lügen des SPIEGEL und anderer Medien, die, sollten sie entdeckt werden, „Szenische Verdichtungen“ genannt werden.

Das Niveau der Berichterstattung sinkt und das Selbstlob steigt. So erhält das Handelsblatt einen von hunderten Medienpreisen und bezeichnet sich als „12-Sterne-Zeitung“: Das Handelsblatt ist „European Newspaper of the Year“ und erhält den „European Newspaper Award“ in der Kategorie „Beste überregionale Tageszeitung.“ In Wirklichkeit sind die guten Zeiten des Handelsblatts lange vorbei; inzwischen kann man diese Zeitung als Wirtschaftsillustrierte bezeichnen: Viel Tratsch, viel Inkompetenz, nur negativ und destruktiv. Vor ein paar Tagen durfte der verleumderische „Philosoph“ Precht über „Umbrüche und Denkfehler“ im Handelsblatt schreiben; Precht machte sich einen Namen, als er den Schriftsteller Raoul Schrott desavouierte und den Primitivsatz absonderte: „Banker und Politiker stehen vor dem moralischen wie finanziellen Bankrott.“

Auch die Süddeutsche Zeitung versucht ihre drastisch sinkende Auflage und die sinkenden Werbeeinnahmen mit Eigenlob zu konterkarieren. Heute morgen erhielt ich am Zeitungskiosk eine grüne Tragetasche geschenkt, auf der stand: „Labertaschen gibt es woanders. Seien Sie anspruchsvoll. S.Z.“ In der S.Z. selbst ist zu lesen, dass man „weiter Top-Journalismus“ anbieten wolle und dass sich die S.Z. als „Marktführer im deutschsprachigen Qualitätsjournalismus“ verstehe und dass mit einem beschlossenen Sparplan die „Grundlagen für unabhängigen und vielfältigen Journalismus auf höchstem Niveau“ geschaffen würden. Dieses „höchste Niveau“ kann man häufig im Magazin der Süddeutchen Zeitung wahrnehmen, wo völlig schmerzfrei eine Art von Medien-Korruption praktiziert wird: Im redaktionellen Bereich wird auf hochpreisige Mode mit Namensnennung der Marke hingewiesen und rein zufällig werben diese Marken mit großen Inseraten. (Siehe folgendes Beispiel). Als Gipfel der Scheinheiligkeit erscheint in der S.Z. ein Artikel mit folgende Schlagzeile: „Redaktionen für Reklame. Content Marketing sieht aus wie Journalismus, verbreitet aber werbliche Botschaften von Unternehmen. Auch Medienhäuser wollen von diesem Wachstumsmarkt profitieren. Eine Studie warnt vor „Zersetzung“. Das Gift kann besser wirken, wenn der Nutzer nicht weiß, was er verabreicht bekommt.“

Auch die ZEIT und andere Medien betreiben diese Lesertäuschung, die von der NZZ sehr dezent wie folgt beschrieben wird: „Heikle Verwirrspiele mit dem Publikum. Die gestalterische Angleichung von Anzeigen und Redaktionellem gefährdet die Glaubwürdigkeit der Medien.“ Ebenfalls in der NZZ steht ein Superartikel über „den linksliberalen Zeitgeist und die sechs Gebote des moralischen Journalismus:“ von Susanne Gaschke; daraus ein Zitat: „In den moralischen Medien wird man nur selten etwas sehen, hören oder lesen über böse, antisemitische Palästinenser; korrupte Grünen-Politiker; dumme Antifaschisten; verantwortungslose Alleinerziehende, schlechte Erzieherinnen,unglückliche Scheidungskinder; unverschämte, undankbare Migranten. Und fast niemals etwas über Journalisten, die sich geirrt haben. Doch Gottes Kindergarten ist groß, und selbst diese Raritäten existieren natürlich und bestätigen die Regel.“