Thomas Bugnyar über das Sozialverhalten von Raben

Raben knüpfen auf ähnliche Weise Beziehungen wie wir Menschen. Sie schließen Freundschaften und Partnerschaften. Mit denen verbessern sie ihren Alltag. Das kann im netten Sinne sein, dass man sich zusammentut, aber auch, dass man zwischendurch andere betrügt. Raben versuchen nämlich nicht nur, Freunde zu gewinnen oder ihre eigenen Freundschaften stabil zu halten, sondern auch zu verhindern, dass andere Freundschaften knüpfen können. Sie mischen sich bei anderen ein. Das kennt man gut vom Menschen: Wir schauen nicht nur auf das, was uns selbst betrifft, sondern auch auf das, was andere machen, und versuchen dann, in unserem Sinn etwas zu ändern. Der Rabe hilft uns zu verstehen, warum gerade beim Menschen das Sozialverhalten, das taktische Vorgehen und Freundschaften-Schließen so wichtig ist.

Wenn zwei streiten, kommt ein Dritter, der den tröstet, der gerade verprügelt wurde. Das heißt, dass er gerade in der Not nett zu ihm ist. Man kann tatsächlich behaupten, dass Raben eine Art Einfühlungsvermögen haben; wir müssen das weiter erforschen. Ein Beispiel: Es gibt eine Prügelei. Der Verlierer versucht, zu entkommen – er setzt sich in die hinterste Ecke der Voliere und versteckt sich, lässt den Kopf hängen, plustert sich auf, ist manchmal auch körperlich verletzt. Unmittelbar nach der Prügelei kommt dann ein anderer Rabe, der nicht beteiligt war, setzt sich ganz nah an den Verprügelten und berührt ihn vorsichtig; wenn der das akzeptiert, fängt er an, ihn zu kraulen; meist wird der Nacken gekrault, weil der Rabe selbst dort nicht hinkommt. Nach ein paar Minuten entspannt sich der Getröstete, kommt zurück in die Gruppe und verhält sich wieder normal. Man kann definitiv sagen, welcher Rabe nach einer Prügelei kommt und tröstet: Das ist immer der beste Freund. Raben brauchen nicht viele enge Freunde, sondern ein paar, die richtig gut sind. Und diese Freundschaften halten auch durchaus lange.

Raben-Beziehungen brechen aber auch immer wieder auf, z.B. wenn es plötzlich einen absolut starken und sexy Typ gibt, verlässt man seinen Freund oder seine Freundin. Dann gibt es noch die Einmischung von anderen, wenn die keine Ruhe geben: Wenn zwei Raben zusammen sind und andere stören die Beziehung, suchen die beiden sich irgendwann einen anderen Partner – auch wegen unterschiedlicher Interessen. Umgelegt auf Menschen würde das heißen, dass einer lieber am Fußballplatz ist und der andere in der Disco.

Raben verhalten sich vorausschauend; sobald sich zwei Raben freundschaftlich annähern, fangen die anderen schon an, sich einzumischen. Das Interessante dabei ist, dass es wirklich um etwas geht, das die Zukunft betrifft: „Nein, ich mag nicht, dass du dieses oder jenes tust, weil das für mich später Folgen haben wird.“

Auffallend ist, wenn man nach der Erforschung der Raben wieder mit anderen Menschen zu tun hat oder in der Freizeit mit Freunden, dann bemerkt man schnell die gleichen Muster im Verhalten; das gilt auch für verschiedene Charaktere: Der eine ist der Boss, der andere ist zu allen nett, der nächste versucht es mit „Ach, ich bin so toll !“. Da gibt es Parallelen.

Der Rabe betrügt auch seine Artgenossen, indem keine oder falsche Informationen weitergegeben werden. Sie können zum Beispiel sehr gut verheimlichen, wenn irgendwo gutes Futter ist; das machen sie allerdings nicht oft, und wenn, sehr gezielt. Wenn einer öfter täuschen würde, bekäme er schnell den Ruf, dass man ihm nicht trauen kann und er würde ignoriert. Wenn es um Beziehungen geht, versuchen Raben aber eher, den Zuverlässigen zu spielen.

(Aus einem Interview in der FAZ)